Im Bundesteilhabegesetzes ist von “Wirksamkeit”, “Wirkungsorientierung” und “Wirkungskontrolle” die Rede, ohne dass diese Begriffe hinreichend definiert sind. BTHG-Experte Florian Acker gibt einen Überblick über den Stand der Dinge.
Mit der Reform des
Bundesteilhabegesetzes (BTHG) hat der Gesetzgeber die Begriffe “Wirksamkeit von
Leistungen”, “Wirkungsorientierung” und “Wirkungskontrolle” eingeführt. Allerdings
vergaß er dabei eine Definition ebendieser Begrifflichkeiten, was insbesondere bei
den Leistungserbringer*innen für Verunsicherung sorgt – vor allem deshalb, da
die Begriffe sehr wohl Eingang in das Vertragsrecht fanden
und somit Teil der Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung sind.
Eine
Auseinandersetzung mit diesem Thema ist daher sinnvoll und dringend geboten. Der Artikel gibt einen Überblick
über die aktuellen fachlichen Diskussionen in der Eingliederungshilfe. Es
sei bereits hier angemerkt, dass es sich lediglich um einen groben Überblick
und keine vertiefte sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung handelt; dies
würde den Rahmen sprengen.
Zunächst erörtere ich die Begriffe
von Wirkung und Wirksamkeit im SGB IX. Anschließend widme ich mich der
Diskussion um die Begriffsbestimmung und den sich daraus ergebenden
Konsequenzen für die Praxis. Zuletzt versuche ich durch ein Beispiel aus der
Praxis einen alltagstauglichen Kompromiss darzustellen.
Wirkung und Wirksamkeit im SGB IX
Wie eingangs erwähnt, hat der
Gesetzgeber im Zuge der BTHG-Reform den Wirkungs- und Wirksamkeitsbegriff zwar eingeführt,
allerdings nicht definiert. Das ist umso problematischer, da das neue Vertragsrecht der Eingliederungshilfe sehr wohl Bezug auf die Begriffe nimmt.
Hierzu ein paar Beispiele:
- § 125 Abs. 1 SGB IX: “In der schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Träger der Eingliederungshilfe und dem Leistungserbringer sind zu regeln: 1. Inhalt, Umfang und Qualität einschließlich der Wirksamkeit der Leistungen der Eingliederungshilfe […]”
- § 128 Abs. 1 SGB IX: “Soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Leistungserbringer seine vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt, prüft der Träger der Eingliederungshilfe oder ein von diesem beauftragter Dritter die Wirtschaftlichkeit und Qualität einschließlich der Wirksamkeit der vereinbarten Leistungen […]”
- § 129 Abs. 1 SGB IX: “Hält ein Leistungserbringer seine gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen ganz oder teilweise nicht ein, ist die vereinbarte Vergütung für die Dauer der Pflichtverletzung entsprechend zu kürzen […]”
Wenn man sich die Konsequenzen für die Leistungserbringer vor Augen führt, ist es schon verwunderlich, dass
der Wirksamkeitsbegriff keine rechtliche Definition erfahren hat. Denn spätestens hier wird deutlich,
warum die Themen “Wirkungsorientierung” und “Wirksamkeit” von Leistungen dringlich ist. Schließlich kommt neben dem professionseigenen Anspruch, wirksame
Assistenzleistungen erbringen zu wollen, nun auch ein externer Faktor
hinzu: die Überprüfung und ggf. Sanktionierung durch den Leistungsträger. Der
Leistungsträger ist dazu verpflichtet, im Rahmen des Gesamtplanverfahrens eine
Wirkungskontrolle gem. § 121 Abs. 2 SGB IX bezgl. der erbrachten
Eingliederungshilfeleistungen durchzuführen. Dies kann dann auch zur Folge
haben, dass es zu einer Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung gemäß § 128
SGB IX kommt.
Der Vollständigkeit halber: Eine
Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung wird nur dann durchgeführt, wenn Anhaltspunkte
bestehen, dass der Leistungserbringer seinen gesetzlichen oder vertraglichen
Vereinbarungen nicht nachkommt. In §128 Abs. 1 Satz 7 SGB IX räumt der
Gesetzgeber allerdings die Möglichkeit ein, dass die einzelnen Bundesländer per
Landesrecht auch anlasslose Überprüfungen durchführen können. Von
diesem Recht haben fast alle Bundesländer Gebrauch gemacht (vgl. von
Boetticher 2020, S. 237 ff.).
Angesichts der besonderen
Bedeutung der Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen lohnt eine genauere
Betrachtung. Im aktuellen Lehr- und
Praxiskommentar zum SGB IX führt Bieritz-Harder zu diesem Thema aus: “Sowohl Absatz 1 Satz 1 wie auch Absatz 2 stellen ausdrücklich klar, dass zur Überprüfung der Qualität auch die
Überprüfung der Wirksamkeit der erbrachten Leistungen (Ergebnisqualität)
gehört. Eine Leistungserbringung, die hinsichtlich der möglichen Zielerreichung
unwirksam ist, ist zugleich auch unwirtschaftlich. Die
Eingliederungshilfeleistungen sind jeweils auf bestimmte Teilhabeziele
gerichtet. Im Gesamtplan sind die individuellen an der ICF orientierten Teilhabeziele
der leistungsberechtigten Personen dokumentiert. Erweisen sich Leistungen im
Prozess der Leistungserbringung als unwirksam für die Zielerreichung, kann dies
verschiedene Gründe haben. Zeigt sich während der Prüfung, dass der
Leistungserbringer Leistungen nicht, nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht in
der vereinbarten Qualität erbracht hat, könnte das ein Grund für die
Unwirksamkeit sein. Lässt sich kein Mangel bezüglich der Leistungserbringung
(in Orientierung an den Gesamtplänen) nachweisen, können andere
(Kontext-)Faktoren die Unwirksamkeit bewirkt haben.” (Bieritz-Harder 2021, §
128 Rz. 9 SGB IX)
Diese Kommentierung ist
diskussionswürdig, da hier z.B. die Überprüfung der Wirksamkeit von
Eingliederungshilfeleistungen mit der Ergebnisqualität gleichgesetzt wird – zu
dieser (problematischen) Gleichsetzung mehr im nächsten Abschnitt.
Die restlichen Ausführungen bleiben vage und
verdeutlichen, wie schwierig die Begriffsbestimmung ist und welche Konsequenzen
sich daraus ableiten lassen. Es ist davon auszugehen, dass in den kommenden
Monaten und Jahren die Rechtsprechung für mehr Klarheit sorgen wird, spätestens
dann, wenn Leistungserbringern tatsächlich die Vergütung aufgrund unwirksamer
Leistungen gekürzt wird. Das es erst soweit wird kommen müssen, ist natürlich
ärgerlich.
“Wirkung” und “Wirksamkeit”: Eine Frage der Definition?
Das Thema “Wirkungsorientierung
in der Eingliederungshilfe” ist Gegenstand lebhafter Diskussionen und
fachlicher Auseinandersetzungen. Wie oben bereits skizziert, hat der
Gesetzgeber keine Definition des Wirkungs- oder Wirksamkeitsbegriffs
vorgenommen. Boecker und Weber halten hierzu fest: “Der Bundesgesetzgeber hat die
Grundbegriffe Wirkung und Wirksamkeit an keiner Stelle definiert, und zwar
weder im Hinblick auf die infrage kommenden Zielgrößen – was soll eigentlich
wirksam sein? – noch im Hinblick auf mögliche Verfahren, wie ein
Wirksamkeitsnachweis zu erfolgen hat.” (Boecker / Weber 2021, S. 9)
Dies ist insofern problematisch, als
z.B. die Überprüfung der Wirksamkeit der Leistungen Gegenstand der
Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung gem. § 128 SBG IX ist und finanzielle
Auswirkungen – abhängig vom Prüfergebnis – für den Leistungserbringer nach sich
ziehen kann.
Was versteht man denn aber nun
konkret unter “Wirkung”? Im Duden wird Wirkung wie folgt definiert: “Durch eine verursachende Kraft
bewirkte Veränderung, Beeinflussung, bewirktes Ergebnis.”
Wirkung bedeutet also die
intendierte Zustandsänderung mittels gezielter Handlungen – es besteht somit
ein kausaler Zusammenhang zwischen Zustandsänderung und der durchgeführten
Intervention. Und um diesen kausalen Zusammenhang feststellen zu können, bedarf
es aus wissenschaftstheoretischer Sicht empirischer Forschungsmethoden, z.B. randomisierte
Kontrollgruppenstudien.
Die Kausalität ist von entscheidender Bedeutung beim Wirkungsbegriff.
Sie kann gleichzeitig auch als Abgrenzungskriterium zur Ergebnisqualität im Qualitätsmanagement
herangezogen werden.
Ottmann und König
führen hierzu aus: “Allerdings besteht der
zentrale Unterschied darin, dass bei der Erfassung von Wirkungen eben
Kausalität das zentrale Kriterium darstellt und erfüllt sein muss, während
bei der Ergebnisqualität lediglich betrachtet und geprüft wird, ob die
geplanten Leistungen auch in entsprechender Qualität erbracht wurden.” (Ottmann / König 2018, S. 7)
Genau diese Unterscheidung
zwischen Wirkung und Ergebnisqualität scheint sich in der Praxis allerdings bisher
noch nicht durchzusetzen – zu oft werden die Begriffe “Ergebnisqualität” und “Wirkung” synonym verwendet.
Die undifferenzierte Nutzung der beiden Begriffe macht
allerdings einen wichtigen Unterschied für die Praxis. Zieht man die
Ergebnisqualität als Wirkungsnachweis heran, ergibt sich folgende
Schwierigkeit: “Die Wirksamkeit einer
Intervention, einer Maßnahme oder auch des Agierens einer Organisation ist
danach immer bereits gegeben, wenn die Vorgaben des Qualitätsmanagements in
Bezug auf die Donabedian-Kriterien Struktur, Prozess und Ergebnis eingehalten
wurden.” (Boecker / Weber 2021, S. 11)
Schwierig ist es deshalb, weil
damit zukünftig jegliche Diskussion und ernsthafte Auseinandersetzung mit
wirksamen Eingliederungshilfeleistungen dadurch verkürzt wird, dass sich z.B. der
Leistungserbringer auf die bloße Einhaltung der vereinbarten Qualitätsstandards
berufen wird. Dies kann weder im Sinne des Gesetzgebers noch des Leistungserbringers
und schon gar nicht im Interesse der Leistungsberechtigten sein.
Abschließend ist anzumerken, dass
trotz dieser diffusen Themenlage wichtige Impulse innerhalb der
Eingliederungshilfe angestoßen wurden. Die dadurch angeregten
Auseinandersetzungen und Diskussionen in der Praxis waren überfällig und werden
langfristig dazu beitragen, dass sich das Profil der Eingliederungshilfe schärfen
wird.
Wirkungsorientiertes Arbeiten in der Praxis – Ein Beispiel aus einer WfbM aus Niedersachsen
Und was bedeutet dies nun für die Praxis?
Immerhin: Die rechtlichen Regelungen des
Gesamtplanverfahrens und das neue Vertragsrecht der Eingliederungshilfe sind in
Kraft und finden Anwendung. Die Leistungserbringer tun also gut daran, sich mit
diesem Thema – und somit mit der eigenen Praxis – auseinanderzusetzen.
Bevor ich nun zu einem Beispiel aus der Praxis komme, möchte
ich voranstellen, dass ich den Part über die teils kontroversen Regelungen des
Gesamtplanverfahrens aus inhaltlichen und strukturellen Gründen aussparen werde. (Mehr zum Gesamtplanverfahren hier: “Das Gesamtplanverfahren in der Wiedereingliederungshilfe“.)
In Niedersachsen wird für das Gesamt- und
Teilhabeplanverfahren samt Bedarfsermittlung “B.E.Ni 3.0” (Bedarfsermittlung Niedersachsen in der dritten Fassung) angewendet.
Hinsichtlich der Wirkung, Wirkungskontrolle und Wirksamkeit der Leistungen der
Eingliederungshilfe heißt es im Modulhandbuch: “[… ] lässt sich zusammenfassen, dass es in Bezug auf die
Wirkungsthematik im Rahmen des Gesamt- und ggf. Teilhabeplanverfahrens darum
geht, dass die leistungsberechtigte Person, ihre Bedarfe, Wünsche und die
daraus resultierenden Teilhabeziele im Mittelpunkt stehen. Somit erfolgt die
Wirkungskontrolle im Hinblick auf das Individuum und die vereinbarten
Teilhabeziele, um bedarfsdeckende Leistungen sicherzustellen.“
(Niedersächsisches Landesamt für Soziales, Jugend und Familie 2021, S. 5 ff.)
Nun konkreter: Herr X. ist 36 Jahre alt und Beschäftigter im
Arbeitsbereich (Holzwerkstatt) unserer Werkstatt für behinderte Menschen
(WfbM). Zur Weiterbewilligung der Maßnahme hat der Leistungsträger Herrn X. und
einen Vertreter des Leistungserbringers zu einem Gesamtplanverfahren eingeladen. In diesem Rahmen wurden drei Ziele
zwischen Herrn X. und dem Leistungsträger vereinbart, die innerhalb der
nächsten zwei Jahre erreicht werden sollen.
“Gesamtplanverfahren, die erstmalig auf der Grundlage der Bedarfsermittlung Niedersachsen (B.E.Ni) durchgeführt werden, finden grundsätzlich ohne Beteiligung eines Leistungserbringers statt. Bei Überprüfungen eines Gesamtplanes wird der Leistungserbringer auf Wunsch oder mit Zustimmung der leistungsberechtigten Person grundsätzlich am Verfahren beteiligt.” (Nds. Landesamt für Soziales, Jugend und Familie 2021, S. 47)
Der WfbM werden die schriftlich festgehaltenen Teilhabeziele
zugeschickt. Die GFAB (geprüfte Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung) der
Holzwerkstatt erhält nun die Information, an welchen Zielen innerhalb der
nächsten zwei Jahre gearbeitet werden soll. Der anstehende Prozess kann etwa so aussehen:
- Zu 1: Die GFAB muss für jedes vereinbarte Ziel Maßnahmen entwickeln, bei denen sie davon ausgeht, dass diese zur Zielerreichung führen.
- Zu 2: Sind die Maßnahmen entwickelt, können Zeiträume definiert werden, in denen man gemeinsam an der jeweiligen Zielerreichung arbeiten will. Zum Beispiel: Ziel 1 (5 Monate), Ziel 2 (8 Monate) und Ziel 3 (11 Monate). Zu dieser Planungsphase gehört auch das Festlegen der Evaluationsintervalle.
- Zu 3: Wenn die Planung abgeschlossen ist, muss der Fahrplan unbedingt mit dem Nutzer besprochen und vereinbart werden.
- Zu 4: Die vereinbarte Maßnahmenplanung wird im jeweiligen Computerprogramm hinterlegt.
- Zu 5: Die erarbeiteten Maßnahmen zur Zielerreichung werden in den jeweils definierten Zeiträumen umgesetzt und evaluiert. Die GFAB ist dabei im regelmäßigen Austausch mit dem Nutzer.
Durch die regelmäßige Evaluation der Interventionen kann zeitnah erkannt werden, ob die geplanten Interventionen die entsprechende Wirkung erzielen oder ob es andere Maßnahmen braucht.
An dieser Stelle noch der Hinweis auf den aktuellen Beitrag von Ottmann, König, Gander in der “Zeitschrift für Evaluation”: In dem sehr lesenswerten Beitrag stellen die Autoren anhand eines Praxisbeispiels die Rolle von Wirkungsmodellen vor und zeigen, wie wirkungsorientiertes Handeln in sozialen Organisationen (in dem Fall WfbM) umgesetzt werden kann.
Fazit
Das Thema der Wirkungsorientierung in der
Eingliederungshilfe ist komplex – und es steht noch ganz am Anfang. Die
beteiligten Akteure sollten diesen Zustand nutzen, um sich kooperativ und
konstruktiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Denn nur so kann am Ende eine
wirkungsvollere Praxis entstehen.
Wer sich intensiver mit dem Thema beschäftigen möchte, findet hier Unterstützung:
- Die Evangelische Hochschule Nürnberg bietet einen kostenlosen Online-Kurs zum Thema “Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit”.
- PHINEO berät und unterstüzt umfänglich Organisationen der Wohlfahrt und aus dem Non-Profit Bereich wirkungsorientierter zu arbeiten.
- Zu diesem Thema finden zunehmend Fort- und Weiterbildungsangebote statt. Zum Beispiel beim Bildungsinstitut der Bundesvereinigung Lebenshilfe.
Quellen
- Boecker, Michael / Weber, Michael: Wir lässt sich die Wirksamkeit von Eingliederungshilfe messen?, Berlin 2021
- Dau, Dirk H. / Düwell, Franz Josef et al.: Sozialgesetzbuch IX. Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Lehr- und Praxiskommentar. 6. Auflage. Baden-Baden 2021.
- Niedersächsisches Landesamt für Soziales, Jugend und Familie: Handbuch für das Gesamt- und Teilhabeplanverfahren einschließlich der Bedarfsermittlung Niedersachsen (B.E.Ni) Version 3.0, 2021
- Ottmann, Sebastian / König, Joachim: Was wirkt wie? – Konzeptionelle Überlegungen zur Messung und Analyse von Wirkungen in der Sozialen Arbeit, Nürnberg 2018
- Von Boetticher, Arne: Das neue Teilhaberecht, 2. Auflage, Baden-Baden 2020
Florian Acker
Florian Acker ist staatlich anerkannter Sozialarbeiter, Sozialpädagoge und Systemischer Therapeut und Berater (SG). Er ist seit über fünfzehn Jahren in den Handlungsfeldern der Eingliederungshilfe tätig. Auf seinem Blog schreibt Florian Acker zu aktuellen Entwicklungen in der Eingliederungshilfe.