“Verantwortungseigentum” bietet eine Alternative zu bekannten Eigentümerstrukturen. Doch was bedeutet Verantwortungseigentum? Welche Vorteile bringt das? Und: Können auch gemeinnützige Vereine im Verantwortungseigentum geführt werden?
Lena Marbacher von der Neuen Narrative und Wolfgang Schmid von Serlo.org gaben uns in unserer Virtuellen Kaffeepause im September 2021 einen Einblick
und hilfreiche Tipps.
Wer in einer klassischen GmbH Geld auf den Tisch legt, um
prozentual Eigentum am Unternehmen zu haben, bekommt auch Stimmrechte. Wer die
meisten Stimmrechte hat, der oder die kann bahnbrechende Entscheidungen
treffen. Bei sogenannten Unternehmen “in Verantwortungseigentum” ist dem nicht so.
Unternehmen in Verantwortungseigentum sind Organisationen, die sich selbst gehören. Das Verantwortungseigentum ermöglicht, die Werte und Unabhängigkeit eines Unternehmens rechtlich bindend zu verankern. Die Rechtsform schließt aus, dass der Unternehmensgewinn bei
Individuen landet. Gewinne verbleiben im Unternehmen, weder Investor*innen noch Geschäftsführer*innen können das Geld nicht mitnehmen, wenn
sie das Unternehmen verlassen. Unternehmen in Verantwortungseigentum können auch nicht verkauft oder vererbt werden.
Vielmehr gehört das Unternehmen sich selbst. Die Gestaltungskraft liegt bei denen, die aktuell im
Unternehmen arbeiten. Sie treffen Entscheidungen und üben das Verantwortungseigentum aus.
Die Rechtsform ist derzeit noch weitgehend unbekannt und im Handling kompliziert. Doch Lena Marbacher von der Neuen Narrative ist zuversichtlich, dass sich das ändern wird. Schließlich diskutiere die Politik gerade eine neue Rechtsform: die GmbH mit
gebundenem Vermögen.
Wie sieht Verantwortungseigentum als Unternehmensform aus?
Die Mitarbeitenden der Neuen Narrative beschäftigen sich derzeit intensiv mit dem Thema der “egofreien Wirtschaft”. Teil der Debatte ist, dass die Gründer*innen garantieren möchten, dass sie
sich nicht persönlich bereichern, dass ihr journalistisches Medium
unverkäuflich bleibt und die organisationale Partizipation dauerhaft verankert wird.
Um das zu verwirklichen, errichtet die Neue Narrative ein besonderes Konstrukt: Das Unternehmen besitzt die Rechtsform einer GmbH. Die Mitarbeitenden-GbR übt 99 Prozent der Stimmrechte an
der GmbH aus und ist weisungsbefugt gegenüber den Geschäftsführer*innen. 1 Prozent der
Stimmrechte liegen bei der Purpose Foundation, die ein
Veto-Recht hat. Sollte das Unternehmen verkauft werden oder durch zu hohe Gehälter
auffallen, dann kann die Stiftung dies verhindern. Das ist auch ihr
Stiftungszweck.
Eine andere Möglichkeit, die Idee des Verantwortungseigentums umzusetzen, lässt sich bei Bosch beobachten: Das Unternehmen arbeitet mit
einer Stiftung, die die Stimmrechte hält, und einer weiteren, die die Gewinne
bekommt; letztere ist die Robert Bosch Stiftung.
Wie lässt sich das Prinzip des Verantwortungseigentums auf Vereine übertragen?
Die Idee des Verantwortungseigentums wird vor
allem im Kontext von Wirtschaftsunternehmen erörtert. Doch auch gemeinnützige
Vereine können im Verantwortungseigentum geführt werden.
Ein Beispiel ist der Verein Serlo.org. Zu Serlo gehört eine
Lernplattform mit Community-Ansatz, die der Wikipedia ähnelt. “Das
Thema Mitgestaltung steckt quasi in jeder Faser von uns”, sagt Wolfgang Schmid,
Mitgründer von Serlo. Deshalb war es für das Team nur folgerichtig, diese
Werte auch in der Rechtsform zu verankern. In der Virtuellen Kaffeepause
berichtete Wolfgang, an welchen Stellschrauben gedreht wurde, um das
unternehmerische Prinzip auf den gemeinnützigen Verein zu übertragen:
1. Gewinnbindung
Die
Grundidee, dass Gewinne im Unternehmen bleiben oder gespendet werden müssen,
bringen gemeinnützige Vereine von Hause aus mit. Die Gemeinnützigkeit garantiert die Gewinnbindung. Hier sind gemeinnützige
Vereine Wirtschaftsunternehmen also weit voraus.
2. Verantwortung im Team
Alle zentralen strategischen, operativen und finanziellen
Entscheidungen werden nicht in der Mitgliederversammlung, sondern in einem teaminternen Gremium gefällt. In diesem Gremium sitzen alle Mitarbeitenden. Bei Serlo wird soziokratisch nach dem Konsentprinzip entschieden (Achtung: nicht Konsensprinzip!).
Warum das nicht einfach in der Mitgliedsversammlung gemacht wird? Weil das Vereinsrecht demokratische Prozesse definiert, soziokratische sind nicht vorgesehen.
3. Aktive Mitgestaltung durch Vereinsmitglieder
Langfristig möchte der Verein die Prinzipien des
Verantwortungseigentums noch stärker in die Vereinsstrukturen tragen, sodass
Vereinsmitglieder wirklich zu aktiven Mitgestalter*innen werden. Um
das zu erreichen, diskutiert Serlo derzeit, eine Vereinsmitgliedschaft
auf Zeit einzuführen. Dann könnten Mitglieder beispielsweise drei Jahre
beitreten und sich in dieser Zeit aktiv einbringen.
4. Haftungskreis statt Vorstand
Laut Vereinssatzung gibt es einen Vorstand, der ganz klassisch die Organisation führt. Bei Serlo kann aber jeder – egal ob Teammitglied oder
Vorstand – unternehmerisch tätig sein und proaktive Vorschläge einbringen. Der Unterschied zwischen Vorstand und Vereinsmitgliedern besteht bei Serlo darin, dass der Vorstand für Entscheidungen haftet; mehr Stimmrechte hat er nicht.
Derzeit diskutiert Serlo eine Satzungsänderung, die vorsieht, dass
der Vorstand zukünftig Haftungskreis heißt, um die eigentliche Funktion zu verdeutlichen. Schließlich schreibe das Vereinsrecht keineswegs vor, dass ein Vorstand auch “Vorstand” heißen müsse.
Verhindert Verantwortungseigentum Hierarchien?
Ein Unternehmen kann in Verantwortungseigentum geführt werden und
trotzdem hierarchisch aufgestellt sein. Viele Unternehmen, die den Weg ins Verantwortungseigentum
gehen, sind allerdings durch die Motivation getrieben, mehr Partizipation zu ermöglichen.
Auch die Neue Narrative und Serlo.org entscheiden stets nach Konsent; entweder in Anlehnung an holokratische Prinzipien oder auch soziokratische Ansätze. In beiden
Fällen wird mit Vetos gearbeitet: Wer eine Idee nicht als sicher oder gut
empfindet, kann sie verhindern. Diese Art der Zusammenarbeit setzt
unbedingtes Vertrauen ineinander voraus. Erreicht werden kann das mithilfe einer guten Fehlerkultur und gewaltfreier Kommunikation. Wichtig ist bei alledem, dass die besten Ideen
entscheiden, nicht das größte Ego.
Wolfgang berichtete, dass man auch als “normaler” Verein Verantworungseigentum
leben kann. Eine rechtliche Bindung wie z.B. bei den Neuen Narrativen besteht
allerdings nicht, da am Ende des Tages immer die Mitgliederversammlung das
letzte Wort hat und zum Beispiel teaminterne Entscheidungsgremien auflösen oder
die Rolle des Vorstands ändern kann.
Wer seinen Verein oder sein Unternehmen gerne in das
Verantwortungseigentum führen möchte, sollte sich vorher gut informieren. Die Stiftung Verantwortungseigentum oder die Purpose Stiftung sind gute Anlaufadressen.
Autorin: Merle Becker