Wenn regelmäßig Selbstständige auf Honorarbasis für eure Non-Profit tätig sind, dann solltet ihr auf mögliche Scheinselbstständigkeit achten. Das gilt selbst dann, wenn beide Seiten ausdrücklich eine freie Mitarbeit wollen und vereinbart haben. Auch eure Gemeinnützigkeit ändert nichts an dem Risiko. Die Folgen sind drastisch: Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge für bis zu vier Jahre.
Ein warnendes Beispiel: die Koordinatorin des Jazzclubs
Vor kurzem fällte das Landessozialgericht Baden-Württemberg ein Urteil, das Non-Profits als Warnung dienen sollte. Es ging um einen Fall von Scheinselbstständigkeit bei einer gemeinnützigen GmbH. Diese dachte, sie hätte eine freie Mitarbeiterin auf Honorarbasis beauftragt. Das Gericht entschied jedoch, dass ein unangemeldetes Beschäftigungsverhältnis vorlag. Die Sache verlief wie folgt:
- Im September 2018 eröffnet in Mannheim ein neuer Jazzclub. Die Initiatoren, die dafür eine gGmbH gegründet haben, beauftragen ab Mai eine Jazz-Freundin und Unterstützerin mit Organisationsaufgaben. Sie hilft beim Aufbau der neuen Location und übernimmt später die Koordination der Auftritte. Ihren Einsatz rechnet sie stundenweise ab, zunächst mit 15 Euro.
- Nach einigen Monaten wird ein schriftlicher Vertrag geschlossen. Der sieht eine „freie Mitarbeit“ vor, ausdrücklich „kein Arbeitsverhältnis“. Der Stundensatz wird nun auf 18 Euro festgelegt. Für ihre „steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Belange“ ist die Frau laut Vertrag selbst zuständig. Eine feste Wochenarbeitszeit wird nicht vereinbart.
- Der Geschäftsführer der gGmbH ist künstlerischer Leiter und nimmt Musiker*innen unter Vertrag. Die Frau kümmert sich um den Konzertbetrieb, sorgt für Werbung, kommuniziert mit den Künstler*innen und hält den Kontakt zum Vermieter der Clubräume. Außerdem wickelt sie das Ticketing ab. Zweimal die Woche besetzt sie für mehrere Stunden im Club die Ticket-Hotline. An Konzertabenden ist sie für die Abendkasse und die Betreuung der Musiker*innen zuständig. Die Arbeit rechnet sie jeweils monatlich nach Stunden ab.
- Im Sommer 2019 initiieren die gGmbH und die Koordinatorin ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Vielleicht ahnen sie bereits Böses. Die Clearingstelle entscheidet in Zweifelsfällen, ob eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit oder eine echte Selbstständigkeit vorliegt.
- Im Dezember 2019 kommt der Bescheid. Die vermeintliche freie Mitarbeit wird als sozialversicherungspflichtige Tätigkeit eingeordnet. Wenige Tage später schließt die gGmbH einen Arbeitsvertrag: Ab 2020 wird die Mitarbeiterin in jedem Fall zur Arbeitnehmerin.
- Gleichzeitig legt die gGmbH erst Widerspruch und dann Klage gegen den Bescheid der DRV ein. Ohne Erfolg: Das Sozialgericht Mannheim und das Landessozialgericht in zweiter Instanz sehen es wie die Clearingstelle. Die gGmbH muss für insgesamt 20 Monate Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.
Scheinselbstständigkeit: das sind die Folgen
Angenommen, eure Non-Profit ist in einer vergleichbaren Situation. Ihr habt eine Trainerin, eine Marketing-Beauftragte oder eine IT-Fachkraft mit fortlaufenden Aufgaben betraut. Dabei seid ihr von einer freien Mitarbeit auf selbstständiger Basis ausgegangen. Später entscheiden die DRV oder die Gerichte jedoch, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat.
Damit liegt der schwarze Peter bei euch. Ihr habt eine Arbeitnehmerin beschäftigt, ohne sie anzumelden. Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht abgeführt.
- Als Arbeitgebende haftet ihr für die fälligen Sozialversicherungsbeiträge. Das betrifft sowohl die Arbeitgeber*innen- als auch die Arbeitnehmer*innen-Anteile, und zwar zur gesetzlichen Rentenversicherung, zur Kranken- und Pflegeversicherung, zur Arbeitslosenversicherung und zur gesetzlichen Unfallversicherung.
Ihr müsst bis zu 40 Prozent vom Bruttolohn/Honorar nachentrichten, und das für bis zu vier Jahre. So lange dauert in der Regel die Verjährung. Zudem drohen Säumniszuschläge und Bußgelder. Von Lohn oder Gehalt der frischgebackenen Arbeitnehmerin dürft ihr nur für die letzten drei Monate Beiträge einbehalten. Auf dem Großteil der Nachzahlung bleibt eure Non-Profit sitzen. - Außerdem müsst ihr unter Umständen auch die Lohnsteuer für bis zu vier Jahre nachentrichten. Zwar beurteilt das Finanzamt die Zusammenarbeit nach anderen Regeln als die Sozialversicherungsträger, und es kann sich auch an die vermeintliche Honorarkraft wenden. Alternativ können die Beamten die Steuerschulden jedoch bei eurer Non-Profit eintreiben.
- Wirklich bitter wird es, wenn die Behörden von Vorsatz ausgehen: Bei einer Verurteilung drohen den Verantwortlichen mindestens Geldstrafen. Steuerhinterziehung ist ebenso eine Straftat wie das Nichtabführen von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung. Immerhin: Dafür muss die Staatsanwaltschaft Vorsatz beweisen.
Gemeinnützig? Das ändert nichts an der Scheinselbstständigkeit
„Aber wir sind doch gemeinnützig, kein kommerzielles Unternehmen!“ Eine solche Reaktion ist im Fall von Scheinselbstständigkeits-Vorwürfen vielleicht verständlich. Das ändert jedoch nichts an der Rechtslage.
Dies zeigt auch der oben dargestellte Fall des Mannheimer Jazzclubs. Der argumentierte, dass seiner freien Mitarbeiterin die Förderung des Jazz besonders am Herzen gelegen habe. Die Kunst und die Gemeinnützigkeit der Tätigkeit hätten im Vordergrund gestanden, anders als bei der Tätigkeit für ein gewinnorientiertes Unternehmen.
Dieser Einwand wurde von beiden Instanzen verworfen. „Auch eine gemeinnützige Gesellschaft kann einerseits Arbeitnehmer beschäftigen und andererseits Aufträge an selbstständige Unternehmen erteilen“, schrieb das LSG Baden-Württemberg in der Urteilsbegründung. Non-Profits werden also nicht anders oder nachsichtiger beurteilt als kommerzielle Unternehmen, wenn Scheinselbstständigkeit im Raum steht. Die Arbeitgeberpflichten sind für beide gleich, die Scheinselbstständigkeits-Kriterien ebenfalls.
Allzu feste Freie? Kriterien für und gegen Scheinselbstständigkeit
Wie kann man das Auftragsverhältnis mit Selbstständigen von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung abgrenzen? Ein einzelnes, trennscharfes Kriterium gibt es dafür nicht. Vielmehr müssen in jedem konkreten Fall die gesamten Umstände betrachtet werden. Überwiegen die Indizien, die für eine Beschäftigung sprechen, besteht Sozialversicherungspflicht. Andernfalls handelt es sich um echte Selbstständigkeit.
Bei der Beurteilung eines Einzelfalls achten die Gerichte und die Clearingstelle vor allem auf folgende Punkte:
- Ganz entscheidend ist das „Weisungsrecht“. Arbeitgebende können bestimmen, wo, wann und was ihre Beschäftigten arbeiten, solange die Gesetze und der Arbeitsvertrag eingehalten werden. Selbstständige sind typischerweise selbst für die Planung und Umsetzung von Aufträgen verantwortlich.
Grundsätzlich gilt: Je umfassender und detaillierter eure täglichen Arbeitsvorgaben für vermeintlich selbstständige Auftragnehmer*innen sind, desto eher spricht das für Scheinselbstständigkeit. So musste die Jazzclub-Koordinatorin an vier festen Abenden in der Woche und zusätzlich tagsüber an zwei Wochentagen im Club sein. Das wurde vom Gericht als einer der Belege für eine abhängige Beschäftigung gewertet. - Ein weiterer entscheidender Punkt ist das unternehmerische Risiko. Selbstständigen droht bei Auftragsflauten, übermäßiger Konkurrenz oder Zahlungsausfällen der finanzielle Kollaps. Den müssen Arbeitnehmer*innen nur dann fürchten, wenn Arbeitgebende sie feuern oder zahlungsunfähig werden.
Deshalb liegt der Scheinselbstständigkeits-Verdacht bei Dienstverträgen näher. In Dienstverträgen wird eine bestimmte Tätigkeit oder Arbeit festgelegt. Oft wird sie nach Zeit abgerechnet. Ein typisches Beispiel sind Verträge von freien Dozent*innen. Geringer ist der Verdacht bei Werkverträgen. In Werkverträgen wird vereinbart, dass der oder die Selbstständige eine bestimmte Aufgabe fertigstellt, zum Beispiel die Gestaltung der neuen Website.
Die Frau im geschilderten Fall hatte aus ihrer Tätigkeit als Koordinatorin so gut wie kein persönliches Unternehmerrisiko. Auch das war ein Gesichtspunkt für die Richter. - Je umfassender die Auftragnehmer*innen in eure Abläufe eingebunden sind, eure Arbeitsmittel (Büros, Rechner, Werkzeuge etc.) nutzen und in euren Zeit- und Arbeitsplänen auftauchen, desto eher droht eine Einordnung als scheinselbstständig. Das gilt noch mehr, wenn freie Mitarbeitende nach außen als Vertreter*innen eurer Non-Profit erscheinen: wenn sie zum Beispiel Kleidung mit eurem Vereinslogo tragen oder über eine E-Mail-Adresse von euch kommunizieren.
Die Mannheimer Konzert-Koordinatorin war für einen gesamten Aufgabenbereich im Jazzclub zuständig und in ständigem Kontakt mit dessen Steuerberater, dem Vermieter und den Techniker*innen. Zudem nutzte sie eine Mailadresse des Auftraggebers. Beides wurde vom Gericht als Beleg für ein hohes Maß an Eingliederung angeführt. - Selbstständige haben oft mehrere Auftraggeber*innen. Typisch ist deshalb ein Auftreten am Markt, um neue Kund*innen anzusprechen – zum Beispiel durch Flyer, eine Website, Anzeigen etc. Wenn eure freien Kräfte zusätzlich für weitere Auftraggeber*innen tätig sind und außerdem aktiv Werbung zur Akquise weiterer Kund*innen betreiben, spricht das für eine echte Selbstständigkeit.
Die Jazzclub-Koordinatorin hatte zwar weitere selbstständige Aufträge in anderen Bereichen. Diese waren aber von geringem Umfang. Werbung für ihre selbstständigen Dienstleistungen machte sie nicht. Es gab also kein Anzeichen dafür, dass sie nach Kund*innen suchte. - Ein Indiz für eine echte Selbstständigkeit sind eine eigene Betriebsstätte und eigene Betriebsmittel (Werkzeug, Geräte, Software, Transporter etc.) der freien Mitarbeitenden. Das spricht dafür, dass sie selbst für ihre Arbeitsmittel sorgen müssen. Investitionen in die eigenen Arbeitsmittel sind für Selbstständige typisch.
Dagegen bekommen Arbeitnehmer*innen die Räume, Geräte, Werkzeuge und anderen Dinge, die für die Arbeit benötigt werden, normalerweise vom Arbeitgeber gestellt. Auch dieser Punkt war im geschilderten Fall von Belang: Die Koordinatorin nutzte ein Büro und den Computer des Musikclubs. - Eigene Arbeitnehmer*innen sind ein recht starkes Argument gegen Scheinselbstständigkeit: Wer selbst eigene Leute beschäftigt, um die übernommenen Aufträge auszuführen, ist in aller Regel nicht als Angestellte*r tätig. Wenn die vom Verein mit der IT-Administration beauftragte Selbstständige die Arbeit zusammen mit ihren beiden Mitarbeitern erledigt, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass sie wirklich ein Unternehmen führt und nicht nur zum Schein selbstständig ist. Schließlich bringt die Arbeitgeberinnenrolle Verantwortung und Kosten mit sich.
Statusfeststellungsverfahren durch die Clearingstelle: auch vor Vertragsbeginn möglich
Um für Klarheit zu sorgen, können sich Auftraggebende und Auftragnehmende an die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung wenden. Diese prüft den konkreten Fall. Das ist das sogenannte Statusfeststellungsverfahren. Im Ergebnis haben beide Seiten rechtliche Sicherheit.
So war es auch im oben geschilderten Fall des Mannheimer Jazzclubs. Der zeigt allerdings auch, dass die Prüfung in einen Bescheid über Nachzahlungen für die letzten Jahre münden kann. Immerhin: Werdet ihr von euch aus aktiv, spricht das gegen einen vorsätzlichen Rechtsverstoß. Wenn ihr euch vorab mit dem Steuerberater oder einer Rechtsanwältin abstimmt, wisst ihr ungefähr, wie eure Chancen stehen und womit ihr rechnen müsst.
Wichtig: Seit 2022 wurden die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeit der Clearingstelle geändert. Man kann nun schon vor Beginn der Zusammenarbeit prüfen lassen, ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Die Clearingstelle gibt eine bindende Prognose-Entscheidung ab. Auch „Gruppenentscheidungen“ sind möglich: Dabei wird geprüft, ob eine bestimmte Form der Auftragserteilung, etwa an feste Freie als Trainer*innen oder Coaches, wirklich als selbstständig einzustufen ist. Das Ergebnis gilt dann grundsätzlich für alle gleichartigen Auftragsverhältnisse.
Fazit: scheinselbstständig oder nicht?
Keines der oben aufgeführten Kriterien für Scheinselbstständigkeit ist für sich genommen ausschlaggebend. Es geht immer um den konkreten Einzelfall und dessen Gesamtschau. Ob ihr und eure Auftragnehmer*innen von einer selbstständigen Beauftragung ausgeht, ist ebenso wenig entscheidend. Auch der Wortlaut des Vertrags ändert nichts, wenn dort zwar „freie Mitarbeit“ steht, die gelebte Praxis aber davon abweicht.
Die rechtliche Einordnung ist kompliziert. Trotzdem könnt ihr im ersten Schritt selbst überlegen, wie ihr freie Mitarbeitende einsetzt:
- Sind sie echte, unabhängige Selbstständige, die euch als Auftraggebende betrachten?
- Oder geht das Verhältnis darüber hinaus? Könnten sie genauso gut fest angestellt sein?
- Wie steht es um die wirtschaftliche Abhängigkeit?
Wenn euch ein ungutes Gefühl beschleicht, dann solltet ihr aktiv werden: Ihr könnt eine belastbare rechtliche Einschätzung einholen, und/oder die Zusammenarbeit so verändern, dass keine Zweifel mehr bestehen.
Alternativ könnt ihr aus dem Honorarvertrag einen Arbeitsvertrag machen. Auch dann sind die Verhältnisse klar. Natürlich bringt die Rolle als Arbeitgeberin für eure Non-Profit neue Verpflichtungen und zusätzlichen Aufwand mit sich. Wenn sie allerdings den Tatsachen entspricht, dann ist es nur fair, diese Verantwortung zu übernehmen. Schließlich ist Scheinselbstständigkeit eine Form von Ausbeutung – und die widerspricht mit Sicherheit eurem Selbstverständnis.