Mehr Diversität, keine Diskriminierung und eine Welt ohne Rassismus – für diese gesellschaftlichen Ziele setzen sich Non-Profits unermüdlich ein. Doch Themen, die im Großen bearbeitet werden, finden in den eigenen Organisationsstrukturen oft zu wenig Beachtung. Wie kann man es besser machen? Ein Gespräch mit Mira Helmich und Hafid Shaaib von Zusammenleben Willkommen e.V. inklusive Tipps für eure eigene Non-Profit.
Den Begriff Diversität hört man im heutigen gesellschaftlichen Diskurs immer öfter. Was versteht ihr unter Diversität?
Mira Helmich: Ich habe zur Verwendung des Begriffs Diversität zunächst ambivalente Gefühle. Einerseits hat der Begriff einen positiven Effekt, da er eine Hinleitung zu heterogenen und repräsentativen Strukturen beinhaltet: Er zeigt, dass Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften, Erfahrungen und Alltagsherausforderungen in einem Kontext zusammenkommen, in dem sie bisher noch nicht zusammenkamen. Problematisch ist, dass der Begriff Diversität häufig öffentlich verwendet aber hinter den Fassaden nicht gelebt wird. Ich habe das Gefühl, es ist ein Trend-Begriff, der in Selbstbeschreibungen von Gruppen bereits genutzt wird, sobald auch nur eine nicht cis-männliche Person im Aufsichtsrat vertreten ist.
Während sich Organisationen gern mit dem Begriff der Diversität schmücken, möchte mit Rassismus niemand etwas zu tun haben. Was steckt für euch im Begriff Rassismus?
Hafid Shaaib: Im Begriff Rassismus steckt sehr viel. Ich selbst habe eine Fluchterfahrung und kann über unzählige Situationen berichten, in denen ich nicht auf Augenhöhe und anders als andere Personen behandelt wurde. Ich spreche hier vor allem von Alltagsrassismus. Wenn ich beispielsweise in einen Supermarkt gehe, begegnet mir die Kassiererin, die zuvor alle anderen Personen freundlich angelächelt hat, mit starrer, unfreundlicher Miene. Auch struktureller Rassismus zeigt sich im Alltag, insbesondere im Zuge des Ukraine-Konflikts: Bestimmte Gruppen bekommen jetzt erleichterte Zugänge zu Bildung, Wohnungen und staatlichen Leistungen, wofür andere Gruppen seit Jahren erfolglos kämpfen.
Mira Helmich: Was ich überraschend finde, ist der systemische Charakter von Rassismus. Es gibt dieses Phänomen, dass Menschen, die sich gar nicht kennen, immer dieselbe Fragen stellen: “Woher kommst du?” Und wenn die Antwort “aus Köln” kommt, lautet die Folgefrage: “Nein, woher kommst du wirklich?” Dass sich eine Vielzahl an Menschen, die diese Fragen stellen niemals zum Fragenablauf ausgetauscht haben, zeigt die starke systemische Struktur von Rassismus. Neben dieser universellen Dimension gibt es zwischen Personengruppen eine unterschiedlich starke Betroffenheit. Rassismus wird unterschiedlich konstruiert, zum Beispiel gegen vermeintlich muslimische Religion oder Menschen, die Schwarz sind.
Ihr sprecht bereits von Alltagsrassismus und strukturellem Rassismus. Wie meint ihr, kann sich Rassismus in Organisationen zeigen?
Hafid Shaaib: Ganz konkret beispielsweise an der ungleichen Bezahlung zwischen Personen. Es gibt Firmen, die geben nur bestimmten Mitarbeitenden Weihnachtsgeld. Muslime bekommen dann mit dem Argument, dass sie nicht gläubig sind, kein Geld. Andere Personen werden nicht in der Firma direkt, sondern über Leihfirmen eingestellt, weil sie so günstigere Arbeitskräfte darstellen. Ebenfalls sind mir Fälle bekannt, bei denen Personen mit Fluchterfahrung bei gleichen Aufgaben und Verantwortung weniger Gehalt als Personen ohne Fluchterfahrung bekommen. Unter Rassismus in Organisationen verstehe ich auch, wenn die Meinung oder ein Tipp einer Person, die nicht aus dem deutschen Arbeitskontext kommt, nicht wahr- oder ernstgenommen wird. Rassismus ist, wenn Menschen keine Chance bekommen, sich in neue Arbeitskontexte einzuarbeiten. Klar bedeutet das einen Mehraufwand, aber diese Zeit muss man sich nehmen.
Ihr macht deutlich, dass BIPoC-Personen (Black, Indigenous, People of Color), die bereits in Organisationen arbeiten, Diskriminierung erfahren. Wie steht es aus eurer Sicht grundsätzlich um die Zugangschancen für BIPoC-Personen in den Non-Profit-Arbeitsmarkt?
Mira Helmich: Im Non-Profit-Bereich gibt es oft gerade in aktivistischen Kontexten folgende Dynamik: Es läuft häufig darauf hinaus, dass immer dieselben weißen Leute in Strukturen und Organisationen zu Themen wie Migration in wichtigen Projektleitungspositionen arbeiten. Oftmals geschieht das durch Beziehungen, weil man sich aus anderen aktivistischen Kontexten kennt.
Woran liegt das? Und wie könnte man diesen Dynamiken entgegenwirken?
Mira Helmich: In vielen Organisationskulturen ist es nicht im Bewusstsein oder gar manifestiert, dass eine repräsentative Personalkultur angestrebt werden soll – beispielsweise durch die explizite Ausschreibung einer Bewerbung in migrantischen Kontexten. Oftmals ist es auch eine Schwierigkeit von kleineren Non-Profits, dass sie eh schon unter prekären finanziellen Bedingungen arbeiten. Deshalb müsste es Förderprogramme geben, die explizit ein zeitintensiveres Einlernen von Personen mit Fluchterfahrung finanziell fördern. Ohne diese Unterstützung scheint es natürlich einfacher, Leute einzustellen, die sich im bürokratischem Arbeitskontext von NGOs bereits gut auskennen und fließend die Sprache sprechen.
Ihr beschreibt eine sehr einseitige Form der Einstellungspolitik bei Non-Profits. Welche Folgen hat dies für die Qualität der Arbeit?
Hafid Shaaib: Das grundlegende Problem besteht darin, dass die Personen, die im Bereich Flucht und Migration arbeiten nicht von Flucht und Migration betroffen sind. Das Thema braucht Personen in den Organisationen, die es erlebt haben. Ein Studium in Sozialer Arbeit ist nicht ausreichend, um mit Personen mit Fluchterfahrung zu arbeiten. Es geht darum, andere Kulturen zu verstehen, nicht nur die deutsche Gesellschaft und deren Werte und Normen. Seit 2015 haben sich sehr viele Initiativen für Geflüchtete gegründet, die Geflüchteten selbst dürfen dort aber zu großen Teilen nicht arbeiten. Man muss diesen Menschen die Chance geben und mindestens drei bis vier Personen mit Fluchterfahrung in jeder Organisation einstellen. Es verbessert die Qualität der Arbeit, weil sich die anderen Personen dann wirklich verstanden fühlen. Nur so können Gespräche auf Augenhöhe stattfinden.
Ihr beschreibt die Begegnung und den Austausch auf Augenhöhe im Team als ein wichtiges Merkmal. Lebt ihr diese Form bereits in eurer Organisation?
Mira Helmich: Es ist eine ständige kontinuierliche Auseinandersetzung und wir sind nicht am ultimativen Ende angekommen. In unserem Team fand vor Jahren ein Umdenken und damit der Beginn eines Prozesses statt. Anfangs gab es beispielsweise einen Workshop mit glokal e.V., ein Verein, der explizit machtkritische Bildung und Beratung anbietet. Wir versuchen außerdem teamintern, Prozesse mit regelmäßigen Team-Meetings, Team-Treffen und ausführliche Einarbeitungen zu etablieren, damit alle die Möglichkeit haben, sich gut kennenzulernen. Damit fördern wir gegenseitiges Verständnis und Respekt. Diese Atmosphäre ist eine gute Grundlage für die Arbeit auf Augenhöhe.
Das Team, das sich auf eurer Webseite zeigt, ist sehr heterogen. Welche Maßnahmen unternehmt ihr, um euch divers aufzustellen?
Mira Helmich: Eine konkrete Maßnahme betrifft die Auswahl der Kanäle, die wir für unsere Stellenausschreibungen nutzen. Anders als über Mainstream-Netzwerke, von denen wir wissen, dass sie primär von weißen Zielgruppen genutzt werden, kontaktieren wir bei der Besetzung neuer Stellen persönliche Kontakte aus der Community, nutzen bestimmte Verteiler aus dem nicht weißen aktivistischen Kontext oder sprechen gezielt migrantische Organisationen an. Natürlich müssen die Personen in jedem Fall die Fähigkeiten mitbringen, die für die Stelle benötigt werden. Um beide Qualitäten sicher zu stellen, muss man dann eben manchmal etwas länger suchen.
Inwieweit setzt ihr euch aktiv mit dem Thema Rassismus in eurer Organisation auseinander?
Mira Helmich: Wir kommunizieren bereits in den Ausschreibungen explizit, dass wir Personen suchen, die eine gewisse Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus mit sich bringen. Das ist eine Voraussetzung, die wir grundsätzlich in jeden Bewerbungsprozess einbauen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich einige weiße Personen, die mit Geflüchteten arbeiten wollen, noch nie mit dem Thema Rassismus auseinandergesetzt haben und entsprechend im Bewerbungsprozess keine qualitativ hochwertigen Antworten geben können, die wir für die gemeinsame Zusammenarbeit in unserer Organisation brauchen.
Welche Tipps könnt ihr Organisationen geben, die sich bisher noch nicht mit dem Thema Rassismus in den eigenen Strukturen auseinandergesetzt haben, um Reflektionsprozesse dahingehend anzustoßen?
Mira Helmich: Zunächst
müssen 7 zentrale Schritte erfolgen.
Schritt 1:
Macht euch bewusst, warum es ein
Problem ist, dass sich ein rein weißes Team mit Themen zu Migration und Flucht
auseinandersetzt. Das ist nicht einfach und braucht oftmals eine fachliche
Begleitung. Hierfür gibt es auch kostenlose Angebote, zum Beispiel zu “Critical
Whiteness”. Es ist ein Anfang, als Team an solchen Workshops teilzunehmen.
Schritt 2:
Setzt euch im Team das Ziel, dass ihr andere
Teamstrukturen aufbauen wollt. Gibt es ein neues Projekt? Dann
entscheidet euch bewusst dafür, es nicht dominiert weiß zu besetzen. Das ist
der wichtigste Schritt.
Auf Grundlage dieses Grundverständnisses und Vorhabens könnt ihr weitere, kleinere
Schritte befolgen:
Schritt 3:
Fragt in Stellenausschreibungen
und in Bewerbungsprozessen: Inwieweit hast du dich bisher in deinem Leben mit Rassismus auseinandergesetzt?
Schritt 4:
Streut eure
Stellenausschreibungen in den richtigen Kanälen! Ihr könnt beispielsweise auf migrantische
Vereine zugehen und fragen, ob sie die Ausschreibung in ihren Netzwerken teilen. Nutzt eure Kontakte, um Kanäle zu identifizieren, über die ihr Menschen
erreicht, die ihr nicht auf den Mainstream-Plattformen antrefft. So verhindert ihr, dass sich überwiegend Menschen aus der weißen aktivistischen
Community bewerben.
Schritt 5:
Stellt
Personen ein, die zu eurem Thema persönliche Erfahrungen
gemacht haben. Ein weiß dominiertes Team kann keine qualitativ hochwertige Arbeit
zum Thema Flucht und Migration leisten.
Schritt 6:
Macht euch
Gedanken zu euren Zugangskriterien. Es muss okay sein, einen kleinen
Mehraufwand in die Einarbeitung von Personen zu investieren, die sich bisher
noch nicht perfekt in aktivistischen Netzwerken auskennen. Nehmt euch Zeit und
schafft so einen Zugang und Transparenz für alle.
Schritt 7:
Nutzt die
Angebote, die euch bei diesem Prozess begleiten können, zum Beispiel:
- Machtkritische Bildung und Beratung von Glokal e.V.
- Workshops zu “Critical Whiteness” bei Phoenix e.V.
- Systemische und diversitätsorientierte Beratung von Akoma Coaching & Consulting
- Handbuch “Excit Racism” von Tupoka Ogette, auch als kostenloses Hörbuch bei Spotify verfügbar