Wie klar und umfassend dürfen sich Non-Profits politisch positionieren? In Deutschland ist diese Frage schon lange Thema. Dabei geht es um juristische Argumente – und einiges mehr. Ein neues Gutachten bringt einen interessanten Gesichtspunkt ein: Sachlichkeit. Ein Kommentar von Simon Hengel.
Non-Profits, die politisch zu aktiv auftreten, müssen in doppelter Hinsicht mit Problemen rechnen: Erstens kann der Entzug staatlicher Fördermittel und anderer öffentlicher Unterstützung drohen, zweitens der Verlust der Gemeinnützigkeit. Förderung verloren, Spenden nicht mehr absetzbar, die Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe und Sponsoring verloren: Das geht es ans Eingemachte.
Diesen Hebel hat – Überraschung – beispielsweise die AfD für sich entdeckt. Zwei Beispiele:
- Uli Henkel beantragte 2022 als bayerischer Landtagsabgeordneter, dem Verein München ist bunt! die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Als Begründung gab er bei YouTube an, dass „die linken Zecken unsere Arbeit behindern“. Das Finanzamt entschied zwar gegen den Antrag. Aufwand und Mühe hatte der Münchner Verein trotzdem.
- Vor den Brandenburger Landtagswahlen im September 2024 drohte AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt dem dortigen Landesjugendring den Entzug der Gemeinnützigkeit an. Der Verein hatte die Unvereinbarkeit mit der Jungen Alternative beschlossen und die Prüfung eines AfD-Parteiverbots gefordert.
BFH: Politische Meinung ja, aber parteipolitisch neutral und zur Satzung passend
Eine gemeinnützige Non-Profit darf keine bestimmte Partei unterstützen. Sie soll ihre Mittel „weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien“ verwenden. Das besagen die deutschen Steuergesetze.
Konkreter wurde 2017 der Bundesfinanzhof (BFH). Das oberste deutsche Steuergericht hielt fest, dass das „Betreiben oder Unterstützen von Parteipolitik“ zwar die Gemeinnützigkeit ausschließt. Politische Äußerungen von Non-Profits sind dagegen möglich – solange sie zum Satzungszweck passen und „parteipolitisch neutral“ bleiben (BFH, 20.03.2017). Das Hamburger Finanzamt hatte im Engagement des BUND e. V. zum Rückkauf der Energienetze in der Hansestadt eine unzulässige politische Betätigung gesehen.
Strikter fielen zwei Entscheidungen des BFH zum globalisierungskritischen attac-Netzwerk aus (BFH, 10.01.2019 und 10.12.2020). Er erkannte dessen Trägerverein die Gemeinnützigkeit ab. Das Netzwerk habe seinen Schwerpunkt in der „öffentlichkeitswirksamen Darstellung und Durchsetzung eigener Vorstellungen zu tagespolitischen Themen“ gehabt. Die „Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung“ sei aber kein gemeinnütziger Zweck. Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine Non-Profit, die sich diesem Ziel verschreibt, verlässt den Bereich der Gemeinnützigkeit.
Konkret lässt sich die Position des BFH zur politischen Positionierung von Non-Profits in etwa so zusammenfassen:
Politische Aussagen zu den satzungsgemäßen Zwecken sind okay – sie können im Prinzip auch einseitig sein und auf die Durchsetzung bestimmter politischer Ziele im Bereich der eigenen Satzungszwecke gerichtet sein. So war es, als der BUND e. V. für die Reprivatisierung der Hamburger Gasnetze kämpfte.
Ein breites Spektrum an politischen Anliegen ist jedoch selbst durch das Satzungsziel „Förderung der politischen Bildung“ nicht gedeckt. Bei attac reichte die Agenda von der Steuerpolitik (Wiedereinführung der Vermögenssteuer) über die Verkehrspolitik (Engagement gegen Stuttgart 21) und Wirtschaftspolitik (Einstieg eines Finanzinvestors bei einem Öko-Textilunternehmen) bis zur Arbeitspolitik (30-Stunden-Woche).
Verwaltungsgerichtshof: Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist „keine Verwaltungsaufgabe“?
Der Verwaltungsgerichtshof Bayern verurteilte die Stadt Nürnberg zum Austritt aus der „Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg“. Die Allianz ist ein eingetragener, aber nicht gemeinnütziger Verein. Geklagt hatte der AfD-Kreisverband Schwabach, weil der Zusammenschluss sich in Pressemitteilungen und Broschüren gegen die AfD geäußert hatte.
Die Münchner Richter*innen befanden, als Mitglied seien die „kritischen öffentlichen Äußerungen der „Allianz gegen Rechtsextremismus“ auch der Stadt Nürnberg zuzurechnen. Und das ordneten sie als „mittelbaren Eingriff in die Parteienfreiheit“ ein (VGH Bayern, 14.11.2024). Die Aktivitäten der „Allianz gegen Rechtsextremismus“ stünden in keinem Zusammenhang mit „einer konkreten Verwaltungsaufgabe“.
Der Rechnungshof und die „politische Neutralität“
Eine besonders eingeengte Interpretation zum politischen Freiraum von Non-Profits lieferte der sächsische Landesrechnungshof in einem Sonderbericht vom Dezember 2023. Das damals SPD-geführte Sozialministerium des Landes habe bei der Fördermittelvergabe für „integrative Maßnahmen“ die staatliche Neutralitätspflicht nicht berücksichtigt. Man könne deshalb nicht davon ausgehen, dass „die Zuwendungsempfänger überwiegend politisch neutral handeln und eingestellt sind“. Viele der Empfänger*innen seien Mitglieder z. B. im „Bündnis gegen Rassismus und im Netzwerk Tolerantes Sachsen“.
Den juristischen Überlegungen zur „politischen Neutralität“ staatlich geförderter Non-Profits widmete der Sonderbericht ein eigenes, umfangreiches Kapitel. Dazu sollte man wissen: Jens Michel, Präsident des Landesrechnungshofs, ist CDU-Mitglied und war Landtagsabgeordneter. Als solcher warb er für eine Koalition aus CDU und AfD. Das berichtete unter anderem die Welt.
Ein Gegengutachten liest dem Rechnungshof die Leviten
Die Cellex Stiftung gab daraufhin, unterstützt von anderen Stiftungen, ein eigenes Rechtsgutachten in Auftrag. Es trägt den Titel „Zur Bedeutung des sogenannten Neutralitätsgebots für zivilgesellschaftliche Vereine der Demokratie- und Jugendarbeit“. Autor ist Friedhelm Hufen, Professor für Verwaltungsrecht an der Uni Mainz.
Hufen spricht dem Landesrechnungshof die Zuständigkeit für Betrachtungen zum Neutralitätsgebot ab. Mehr noch: Dieser wolle offenbar „weit über seine Kompetenzen hinaus Einfluss auf die gesamte Förderpolitik des Landes“ gewinnen. Es dränge sich der Eindruck auf, dass es „statt um die Zweckmäßigkeit der Mittelverwendung um die Ziele und Zwecke der Politik“ gehe. Der Rechnungshof habe jedoch selbst „politische und rechtliche Neutralität zu wahren“.
Auch inhaltlich widerspricht Prof. Hufen dem Sonderbericht deutlich. Dieser setze ein isoliert betrachtetes Neutralitätsgebot absolut. Neutralität werde als „politisch steril“ verstanden. Bei der politischen Neutralität gehe es jedoch um die Chancengleichheit der Parteien in einem offenen demokratischen Diskurs. Allerdings muss Hufen zugestehen, dass der BFH in der erwähnten attac-Entscheidung zumindest die politische Bildung als gemeinnützige Aufgabe ähnlich eng gefasst hat wie der sächsische Rechnungshof.
Entschieden bestreitet das Gutachten, dass staatliche Fördermittelvergabe das gesamte gesellschaftliche Meinungsspektrum abbilden müsse. Es könne nicht Zweck öffentlicher Förderung sein, Mittel zur Demokratieförderung und Integration an Gruppen zu verteilen, die diese Ziele bekämpfen. Förderung beruhe auf einer Ermessensentscheidung. Die sei an die Förderrichtlinien gebunden. Neutral muss sie für Hufen dagegen nicht sein.
Politischer Freiraum auch für geförderte Non-Profits
Prof. Hufen fordert politischen Freiraum auch für staatlich geförderte Non-Profits. Im nicht geförderten Bereich hätten sie ohnehin „vollständige Freiheit“ – innerhalb der Schranken des Strafrechts, Wettbewerbsrechts und Vereinsrechts. Deshalb, so seine Empfehlung, sollten geförderte Vereine besonders kritische Initiativen aus Eigenmitteln bestreiten oder ausgliedern.
Hufen wendet sich klar gegen das Ansinnen, geförderten Non-Profits aufgrund falsch verstandener Neutralität die kritische Auseinandersetzung mit konkreten Parteipositionen zu verbieten. Dabei denkt er natürlich vor allem an die AfD. Die „staatlich geförderte allgemeine Auseinandersetzung mit verfassungswidrigen Positionen“ sei immer erlaubt.
Bei einer sachbezogenen, fairen Auseinandersetzung dürfen geförderte Non-Profits für Hufen auch namentlich auf eine bestimmte Partei oder deren führende Personen eingehen: „Auch die AfD muss die offene Auseinandersetzung mit kritischen Themen hinnehmen, die sie selbst gesetzt hat“.
Allerdings nennt Hufen Einschränkungen für staatlich geförderte Non-Profits: Selbst auf drastische Angriffe aus der Partei heraus dürfen geförderte Träger demnach nur sachlich reagieren. Ein „Recht auf Gegenschlag“ – gemeint ist eine Antwort auf demselben unsachlichen Niveau – stehe ihnen nicht zu. Außerdem dürften sie nicht vor Wahlen in den Wahlkampf eingreifen, nicht zu Boykotten aufrufen und keine Parteiversammlungen stören.
Sachlichkeitsgebot statt Neutralitätsgebot
Hufens Gutachten skizziert eine stringente Gegenposition zu Rechtsauffassungen, die Non-Profits politisch an die Leine legen wollen, wie die erwähnte BFH-Entscheidung, der Bericht des Rechnungshofs oder eine vielzitierte Ausarbeitung des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Brandenburger Landtags.
Natürlich wäre ein völliger Wildwuchs an politischen Betätigungsmöglichkeiten im gemeinnützigen Bereich ebenfalls fatal. Das gilt schon deshalb, weil der Niveauverlust im politischen Diskurs vor allem die begünstigt, die rassistische, nationalistische, frauenfeindliche oder homophobe Botschaften unters Volk bringen wollen. Das zeigt die Entwicklung bei Facebook, X/Twitter oder TikTok nur zu deutlich. Trotzdem: Die Lösung kann nicht in der politischen Kastration von Non-Profits bestehen. Auch das nützt nur Demokratie-Gegner*innen und Scharfmachern.
Professor Hufens Vorschlag, das Neutralitätsgebot als Gebot zur Sachlichkeit aufzufassen und Chancengleichheit der Parteien als Prinzip festzuschreiben, hat viel für sich. Genau so funktioniert Demokratie. Und gerade Non-Profits können mit einer klaren, aber sachlich vertretenen politischen Haltung Demokratie, Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit stärken.
Diese Werte werden zurzeit von postfaktischem Populismus bedroht. Wir erleben eine neue Spielart dessen, was ein Reichstagsabgeordneter kurz vor der Machtergreifung der Nazis als „dauernden Appell an den inneren Schweinehund im Menschen“ brandmarkte.
Dagegenzuhalten ist im deutschen Steuerrecht nicht als gemeinnütziger Zweck definiert. Es ist aber eine der gesellschaftlichen Aufgaben unserer Zeit, auch für Non-Profits aller Art.
Eine positive Maßnahme wäre zum Beispiel eine Änderung der Abgabenordnung. Der ursprüngliche Entwurf zum „Steuerfortentwicklungsgesetz“ sah für gemeinnützige Non-Profits das Recht vor, „außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung“ zu beziehen, ohne den Status zu gefährden. Diese Änderung von § 58 AO wäre ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung gewesen. Leider ist er fürs Erste dem Bruch der Regierungskoalition zum Opfer gefallen.
Helfen könnte auch das Bundesverfassungsgericht, indem es die Rechtslage klärt. Seit 2022 verstaubt in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde von attac gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Es wäre Zeit, dass man sich dort des Themas annimmt.