Wie wird aus einem beendeten Projekt ein Verein, was ändert sich im Arbeitsalltag und welche Rolle spielen Kommunikation und Wertschätzung? Das und mehr hat uns Margit Rehmund-Hess vom Müttertelefon e.V. erzählt.
Das Müttertelefon ist ein bundesweites anonymes Gesprächsangebot für Mütter, die mit ihrer aktuellen Lebenssituation überfordert sind oder sich Rat holen wollen. Als das Projekt der Frauen Sinnstiftung im Jahr 2019 eingestellt werden sollte, taten sich acht der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen zusammen, um es zu retten: Sie gründeten einen Verein. Eine von ihnen war Margit Rehmund-Hess. „Von uns hatte keine eine Ahnung, was Vereinsarbeit bedeutet“, sagt sie. „Wir haben den anderen Ehrenamtlichen gesagt, wir halten den Laden am Laufen. Und dafür war viel Arbeit nötig.“
Mit dem SKala-CAMPUS teilt sie die wichtigsten Stationen, Maßnahmen und Erkenntnisse auf dem Weg zu einem gut funktionierenden Verein, in dem knapp 50 Frauen auf Augenhöhe zusammenarbeiten:
Die wichtigsten Stationen: vom Projekt zum Verein Müttertelefon
- Das Müttertelefon war ursprünglich ein Projekt, bestehend aus ca. 40 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, das von der Leiterin der Arbeitsstelle Frauen im Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-Ost ins Leben gerufen wurde. Ende 2019 sollte das Projekt eingestellt werden. „Mit Ende des Projekts gab es eine deutliche Fluktuation unter den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, und wir standen vor der Situation, möglichst schnell wieder neue Ehrenamtliche zu gewinnen, um arbeitsfähig zu bleiben“ berichtet Margit Rehmund-Hess.
- Um das Müttertelefon weiterzuführen und die Kontinuität der Arbeit sicherzustellen, gründeten 8 der Projektmitarbeiterinnen im September 2019 einen Verein. Sie erarbeiteten eine Satzung, die sie juristisch überprüfen ließen, und es folgte die Eintragung im Vereinsregister. In einer Geschäftsordnung legten sie Aufgaben und Rollen fest.
- Wenig später schlossen die Gründerinnen des Müttertelefon e.V. einen Kooperationsvertrag mit dem Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-Ost, der den Verein unterstützt.
- Am 1. Januar 2020 übernahm der Verein die Trägerschaft für das Müttertelefon.
- In einer Kick-off-Veranstaltung mit allen Mitarbeiterinnen wurde das Selbstverständnis des Müttertelefons neu entwickelt. Dies sollte auch ermöglichen, dass sich alle auf dem Weg mitgenommen fühlten.
- Die 8 Gründerinnen bildeten eine Steuerungsgruppe und übernahmen neue Rollen, die sie im Rahmen von Workshops definierten. Parallel dazu verrichteten sie weiterhin ihre Telefondienste.
- Von den Gründerinnen wurden in der Mitgliederversammlung zwei Vorständinnen gewählt.
- Eine Minijob-Kraft wurde für die interne Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit eingestellt. Sie ist die einzige nicht-ehrenamtliche Mitarbeiterin.
- 2022 verließen 4 Frauen nach intensiver Aufbauarbeit die Steuerungsgruppe und widmeten sich wiederum rein dem Telefondienst. Aus dem Kreis der Ehrenamtlichen rückten 4 Frauen nach. Damit startete ein partieller Generationswechsel.
- Im April 2023 wurde ein neues Vorstands-Duo gewählt: Eine Frau blieb im Vorstand, eine kam neu hinzu.
- Aktuell besteht das Müttertelefon aus knapp 50 Mitarbeiterinnen. Der Prozess des Generationswechsels ist vorläufig abgeschlossen.
Unverzichtbare Maßnahmen: wie der Veränderungsprozess begleitet wurde
Transparente Kommunikation an die Mitarbeiterinnen
Ohne intensive Kommunikation wäre der Übergang vom Projekt zum neu gegründeten Verein Müttertelefon sicherlich nicht so gut gelungen. Eine der beiden Vorständinnen achtet ganz besonders darauf, transparent zu kommunizieren. „Schon zu Beginn, als klar wurde, dass das Projekt von der Frauen Sinnstiftung nicht weitergeführt wird, haben wir den anderen Ehrenamtlichen mitgeteilt, dass wir uns um das Weiterbestehen des Müttertelefons kümmern wollen“, sagt Margit Rehmund-Hess. „Wir haben ihnen die Struktur erklärt, die ein Verein mit sich bringt: Wieso brauchen wir eine Steuerungsgruppe und einen Vorstand? Dabei war es uns sehr wichtig, dass wir uns nicht zu stark vom Rest abheben.“
Die Kommunikation erfolgte in E-Mails und teilweise auch direkt im Dialog mit den Ehrenamtlichen. Dabei achteten die Gründerinnen aber auch darauf, ihre Kolleginnen nicht mit Informationen zu überfrachten: „Manche wollten einfach zu den Diensten, Fortbildungen und Supervisionen kommen, aber darüber hinaus gar nicht so viel wissen“, erklärt Margit Rehmund-Hess. „Andere wiederum wollten genauer wissen, was wir vorhaben.“
Um sicherzustellen, dass die wichtigsten Informationen alle Mitarbeiterinnen erreichen, informiert die Steuerungsgruppe bis heute bei Fortbildungen oder Mitgliederversammlungen, in Kurzberichten und in E-Mails über die aktuelle Entwicklung. Darüber hinaus können die Ehrenamtlichen sich über wichtige Termine und Veranstaltungen im laufend aktualisierten Padlet informieren.
Einbeziehung und Wertschätzung
Neben der Kommunikation auf Augenhöhe ist der Steuerungsgruppe des Müttertelefon e.V. sehr wichtig, alle Mitarbeiterinnen am Vereinsgeschehen zu beteiligen und damit auch ihr Engagement zu wertschätzen. „Bei unserem Sommerfest haben wir alle Ehrenamtlichen dazu eingeladen, einmal an einer Sitzung unserer Steuerungsgruppe teilzunehmen, um reinzuschnuppern“, sagt Margit-Rehmund-Hess. Das führte dazu, dass die Steuerungsgruppe direkt zwei neue Interessentinnen zur Mitarbeit gefunden hat.
„Wir achten darauf, dass wir ein gemeinsames Grundverständnis von Beteiligung, Mitsprache und Gemeinschaft haben. Es geht im Wesentlichen um gegenseitige Wertschätzung dafür, dass alle Frauen freiwillig ihre Zeit spenden und sich aktiv mit ihren vielfältigen Ideen und Kompetenzen einbringen.”
Mediation während des Findungsprozesses der Steuerungsgruppe
Fast jede Gruppe kommt im Verlauf ihrer Zusammenarbeit nach einer Anfangsphase in die sogenannte „Storming-Phase“, so auch die Steuerungsgruppe des Müttertelefons: Alles ist neu, und jede Beteiligte schaut, was sie zur neuen Situation beitragen kann. Dabei kommen automatisch Unterschiedlichkeiten zum Vorschein. „Es gab einige Stressreaktionen durch den Zeitdruck und die vielen Themen, mit denen wir konfrontiert waren. Das führte dazu, dass Konflikte entstanden“, erinnert sich Margit Rehmund-Hess. „Wir merkten, dass wir an unsere Grenzen kamen und nahmen deshalb externe Hilfe in Form von Mediation in Anspruch. Ich glaube, das sind normale Gruppenprozesse, die überwunden werden müssen.“
In solch einer Situation ist es wichtig, persönliche Befindlichkeiten auszuklammern, was nicht immer einfach ist: „Da waren wir mit ein paar Stolperfallen konfrontiert: Was uns vereinte, war die Motivation, das Müttertelefon zu erhalten, die Vorstellungen über die Vorgehensweisen deckten sich jedoch nicht immer und Jede hatte ihre Idee, wie dieses Ziel zu erreichen sei.“ Der erfolgreiche Mediationsprozess dauerte etwa drei Monate.
Blick zurück: Was läuft beim Müttertelefon heute anders?
Neue Aufteilung der Mitarbeiterinnen
Mit Unterstützung der ASB Zeitspender-Agentur in Hamburg ist es gelungen, die Zahl der Ehrenamtlichen auf ca. 50 Mitarbeiterinnen zu stabilisieren. Von den 50 sind heute 13 ehrenamtliche Mitglieder im Verein. „Uns ist nicht so wichtig, wie hoch die Mitgliederzahl ist, sondern dass diejenigen, die Vereinsmitglied sein wollen, sich aktiv beteiligen”, erklärt Margit Rehmund-Hess.
Der Kreis der Ehrenamtlichen ist aufgeteilt in den Vorstand (2 Frauen), in die Steuerungsgruppe (8 Frauen) und in die übrigen Mitarbeiterinnen. Es gibt nur eine vergütete Stelle: die Minijob-Kraft, die für Öffentlichkeitsarbeit und die interne Kommunikation verantwortlich ist. Sie ist ebenfalls Mitglied der Steuerungsgruppe.
Neue Arbeitsorganisation
Die Effizienz beim Müttertelefon ist gestiegen: „Wir haben uns mit der Arbeitsorganisation beschäftigt und ein Organigramm erstellt: Wer ist wofür zuständig? Wie ist das Müttertelefon als Organisation strukturiert? Wer führt die Gespräche mit neuen Ehrenamtlichen und wer arbeitet sie ein?”, so Margit Rehmund-Hess.
„Wir haben außerdem unsere Daten zentral in einer Cloud mit Zugriffsberechtigungen abgelegt. Eine fortlaufend geführte Statusliste gibt Überblick über die aktuellen Themen und Arbeitsaufträge und dient zur Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation unserer Besprechungen in der Steuerungsgruppe.“ Der Verein arbeitet zunehmend mit digitalen Tools, um Ressourcen und Zeit einzusparen.
Aktuell wählt die Steuerungsgruppe eine Software aus, mit der zukünftig an Stelle von Excel-Listen alle relevanten Daten inklusive Fundraising-Informationen verwaltet werden sollen. Eine weitere Neuerung: „Wir treffen uns nun einmal im Jahr zu einem Standort- und Zielbestimmungsworkshop. Wir ziehen Bilanz, wie das letzte Jahr gelaufen ist und ob wir unsere Ziele erreicht haben. Und wir entwickeln Ziele fürs neue Jahr.“
Neue Arbeitskultur
Durch die Vereinsgründung gab es beim Müttertelefon einen Kulturwandel hin zu noch mehr Offenheit und Wertschätzung untereinander. „Ich will nicht behaupten, dass es vorher nicht auch schon ganz viel Wertschätzung gab“, erklärt Margit Rehmund-Hess. „Die Betonung liegt vielleicht darin, dass wir als Gründerinnen und mit der Steuerungsgruppe bewusst dagegen angekämpft haben, eine üblicherweise auf Vereinsstrukturen basierende künstliche Hierarchie zu erschaffen. Das wollten wir nicht.“
Zur neuen Arbeitskultur gehört auch, die Mitarbeiterinnen stärker einzubeziehen: „Manche Frauen bringen sehr wertvolle Kompetenzen mit, die wiederum dem Verein zugutekommen können.“ Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, inklusive der Anruferinnen.