Ein faires Gehaltsmodell – kann es das überhaupt geben? Ja, sagt Natascha Kretschmar von Talents4Good. Unter welchen Bedingungen und wie genau das aussieht, erklärt sie im Interview.
Wenn die Gehälter nicht passen, sinkt die Stimmung unter den Mitarbeitenden – oder sie schauen sich gleich nach einer anderen Beschäftigung um. Beides ist nicht zielführend für Organisationen, die etwas bewegen wollen. Höchste Zeit für die Anpassung der Gehaltsstruktur. Die erledigt sich nicht von heute auf morgen und finanziert sich auch nicht von selbst. Wie sie realistisch umsetzbar wird und warum sich die Investition trotzdem lohnt, hat uns Natascha Kretschmar erklärt.
Warum ist es im Non-Profit-Bereich so schwierig, über Geld zu sprechen?
Natascha Kretschmar: In Deutschland ist es immer noch
ein Tabu, offen über das eigene Gehalt und das anderer zu sprechen. In
Österreich wird zum Beispiel gleich in der Jobbeschreibung das Gehalt genannt.
Im Non-Profit-Bereich ist es noch mal komplizierter, weil dort der Spirit
vorherrscht: Wir arbeiten nicht für Geld – wir arbeiten, weil wir die Welt
verändern wollen.
Vielleicht liegt es auch ein bisschen am Bestreben der
Non-Profits, sich von Wirtschaftsunternehmen und Gewinnmaximierung abzugrenzen.
Hier geht’s mehr um Impact. Ich finde, es wird noch viel zu wenig
zusammengedacht, dass wir auch im Non-Profit-Bereich beides brauchen: Impact
und Geld. NPO-Mitarbeitende müssen schließlich die gleichen Lebenshaltungskosten
bestreiten wie Angestellte von Unternehmen.
Weshalb ist das Thema Gehaltsstruktur auch im Non-Profit-Bereich so wichtig?
Natascha Kretschmar: Um gesellschaftlichen Wandel
weiter voranzutreiben und Wirkung zu erzeugen, brauchen wir im Dritten Sektor
gute Fach- und Führungskräfte. Um diese zu gewinnen oder in der Organisation zu
halten, braucht es die Positionierung als attraktiven Arbeitgeber und damit
verbunden eine klare und faire Gehaltsstruktur.
Große Unzufriedenheit mit den
Gehältern unter Mitarbeitenden oder fehlende Perspektiven bezüglich
Entwicklungsmöglichkeiten können dazu führen, dass man tolle Fachkräfte
verliert und der Erfolg sowie das Wirken einer Organisation bedroht sind.
Was sind die drei wichtigsten Fragen, die sich eine Non-Profit vor einer Gehaltsanpassung stellen sollte?
Natascha Kretschmar: 1. Wo stehen wir mit unserem Gehaltsmodell und welchen Veränderungsbedarf haben wir? 2. Welche Gehaltsmodelle gibt es? 3. Mit welchen Organisationen vergleichen wir uns, d.h. welche Gehaltsbenchmark setzen wir uns?
Wie finde ich heraus, ob meine Organisation in puncto Gehaltsmodell konkurrenzfähig ist?
Natascha Kretschmar: Am ehesten durch das Einholen einer Gehaltsbenchmark. Das ist allerdings nicht ganz einfach in unserem Sektor. Wenn man googelt, findet man im Non-Profit-Bereich fast keine Angaben. Da macht es tatsächlich Sinn, sich professionell beraten zu lassen.
Was sind die drei größten Fehler, die man dabei machen kann?
Natascha Kretschmar: Ein großer Fehler ist es, die Bedarfe, Nöte, Ängste des Teams nicht in Erfahrung zu bringen und zu berücksichtigen. Auch sollte man nicht unsensibel mit den Themen Geld und Gehalt umgehen. Mit der Erstellung oder Überarbeitung des eigenen Modells werden nicht nur Zahlen festgelegt – auch die Organisationskultur verändert sich. Und man sollte nicht zu wenig Zeit für den gesamten Prozess einplanen. Mit sechs bis zwölf Monaten sollte man schon rechnen.
Du berätst Organisationen zum Thema Gehalt. Gibt es Fragen oder Probleme, die von Seiten der Organisationen besonders oft aufkommen?
Natascha Kretschmar: Die zwei am häufigsten gestellten Fragen sind: Was bedeutet Fairness? Und: Wie definieren wir Leistung? Eine klare Antwort gibt es darauf nicht. Das muss jede Organisation für sich selbst definieren, denn es hängt stark mit der Organisationskultur zusammen. In manchen Fällen ist zum Beispiel eine leistungsorientierte Gehalts-Variable sinnvoll, in anderen kann sie schädlich sein.
Gibt es einen bestimmten Punkt, an dem sich die meisten Organisationen mit dem Thema Gehalt beschäftigen müssen?
Natascha Kretschmar: Wenn unter den Mitarbeitenden eine
spürbare Unzufriedenheit herrscht oder Angestellte vermehrt kündigen, ist der
Druck groß. Dann lassen sich Organisationen von uns beraten. Sie wollen
entweder wissen, ob die Unzufriedenheit ihrer Mitarbeiter*innen bezüglich des
Gehalts verifiziert werden kann – oder sie wissen schon, dass sie etwas ändern
müssen.
Ein anderer Grund ist Wachstum, auf das die Organisations-
und Gehaltsstrukturen nicht ausgelegt sind. Das passiert oft. Oder wenn es für
die Mitarbeitenden keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten gibt, was Gehalt und
Positionen angeht. Manche unserer Kund*innen wollen aber auch einfach
attraktivere Arbeitgeber*innen werden.
Gehaltserhöhungen sind gut und schön, aber wie finanziere ich die Anpassung?
Natascha Kretschmar: Hier gibt es diverse
Möglichkeiten, die natürlich sehr vom Geschäftsmodell der Organisation
abhängen. Eine Option ist es, Gehaltsanpassungen über Boni auszuzahlen und bei
einem guten Geschäftsjahr einen flexiblen Betrag auf das Fixgehalt zu zahlen.
Eine andere Möglichkeit könnte es sein, in der Theorie
erstmal das Idealmodell mit den Wunschgehältern zu erarbeiten und dann über
mehrere Jahre eine schrittweise Annäherung an die Wunschgehälter durchzuführen.
Natürlich in Abhängigkeit vom Organisationserfolg.
Mal ehrlich: Ist eine faire Gehaltsstruktur überhaupt möglich?
Natascha Kretschmar: Ja. Wenn man das Team an den richtigen Stellen einbezieht, sich über Gehaltsmodelle und Gehaltsbenchmarks informiert, wenn man sich Zeit nimmt und die Sache aufgeschlossen angeht – dann sind die Chancen gut, dass man für die eigene Organisation ein faires Gehaltsmodell entwickelt.
Expertin:
Natascha Kretschmar
Senior-Projektmanagerin Talents4Good (Bild: Leonie Lorenz)
Natascha Kretschmar ist Psychologin und Senior-Projektmanagerin bei Talents4Good. Sie unterstützt Organisationen des Dritten Sektors bei der Suche nach den richtigen Fach- und Führungskräften. Zudem beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema faire Gehaltsstruktur und ist auf diesem Gebiet als Beraterin tätig.