In unserer Virtuellen Kaffeepause erzählten Lena Marbacher von der Neuen Narrative und Anja Thiem von Über den Tellerrand e.V. was es mit dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation auf sich hat und wie es sich in den Alltag integrieren lässt.
Gute Arbeit braucht gute Beziehungen, so heißt
es auf dem Titel der elften Ausgabe der Neuen Narrative. Wir alle
brauchen gute Beziehungen und das hört im Arbeitsumfeld nicht plötzlich auf,
erklärt Lena, Mitgründerin des Magazins und Medienunternehmens. Gewaltfreie
Kommunikation (GfK) ist dabei ein wichtiger Baustein für eine gelungene
Organisationskultur und gute Beziehungen. Doch was genau bedeutet Gewalt in der
Kommunikation?
Anja ist neben ihrem Engagement bei Über den
Tellerrand e. V. auch Organisationsentwicklerin. Sie erzählt, dass Gewalt sich
häufig durch kleine Trigger zeigt: direkte Zuschreibungen, Verallgemeinerungen,
Annahmen und Beschuldigungen. Dadurch entstehen viele Emotionen und auch Wut.
Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) nach Marshall B. Rosenberg kann Abhilfe schaffen.
In vier Schritten
lässt sich ein angespanntes Gespräch wieder beruhigen und ein Konflikt möglicherweise
sogar lösen:
1. Neutrale Darstellung einer Beobachtung
Statt direkt in die Defensive zu gehen, erzählt eurem Gegenüber erstmal
möglichst neutral, was gerade passiert ist. Dabei sollten jegliche
Interpretationen und Evaluationen außen vor bleiben. Zum Beispiel:
„Du bist 5 Minuten zu spät zu unserem Meeting
erschienen.“
2. Darstellung der Gefühle
Erst im zweiten Schritt sprecht ihr eure Gefühle an und erklärt damit, wie die
Aktion oder das Gesagte bei euch ankamen. Um bei unserem Beispiel zu bleiben:
„Deine Verspätung hat mich irritiert.“
3. Eigene
Bedürfnisse erklären
Die GFK geht davon aus, dass Emotionen immer dadurch entstehen, dass
Bedürfnisse verletzt werden. Der Gegenüber sollte verstehen, welches eurer
Bedürfnisse durch sein oder ihr Verhalten nicht erfüllt wurde. So zum Beispiel:
„Durch dein Zuspätkommen, fühle ich mich und
meine Zeit nicht wertgeschätzt.“
4. Konkrete
Darstellung der Bitte/des Wunsches
Seid
Teil der Lösung und schlagt direkt vor, was in Zukunft anders laufen muss,
damit es euch damit besser geht. So vielleicht:
„Es wäre gut, wenn Du das nächste Mal
pünktlich kämest.“
Gewaltfreie Kommunikation umsetzen – im Team und allein
GFK fördert eine klare Kommunikation und auch
das Bewusstsein über die Bedürfnisse der Anderen. Aber sie hilft auch dabei,
die eigenen Bedürfnisse besser kennenzulernen.
Lena erzählt, dass sie in ihrem Team explizit
Meetings und Zeiten eingeräumt hat, um sich mit Beziehungsarbeit und
Kommunikation auseinanderzusetzen: „Wir überlassen es nicht dem Zufall, über
unsere Beziehungen zu sprechen.“ Sich gegenseitig zu sagen, wie es einem geht
und wie man zueinandersteht, wird bei der Neuen Narrative ritualisiert. Dafür
gibt es klassische Feedback-Sessions, aber auch sogenannte
Clear-the-Air-Meetings. In letzteren geht es konkret um Konflikte, und die
Aussprache wird von einer externen Moderation begleitet. Konfliktbetroffene
können sprechen, werden gespiegelt, reagieren und dürfen auch wütend werden. In
Check-In-Meetings erzählen alle Teammitglieder, wie es ihnen gerade geht. Mit der
Information über den Gemütszustand können sie dann sensibler mit der Person
umgehen.
Beziehungsarbeit in der Wirtschaft und im Non-Profit-Sektor
An zwischenmenschlichen Themen zu arbeiten, setzt Raum und Zeit dafür voraus. Doch genau diese Ressourcen werden in vielen Institutionen nicht investiert. Lena ist der Überzeugung, dass dies langfristig zu finanziellen Verlusten führt, weil mehr Menschen Burnouts erleiden oder anderweitig krank werden.
Die zwischenmenschlichen Konflikte in NGOs gleicht denen in wirtschaftlichen Organisationen. Das bestätigt Anja, die in beiden Bereichen unterwegs ist. Doch in gemeinwohlorientierten Institutionen gibt es oft einen größeren Drang nach Harmonie. Dies kann dazu führen, dass Konflikte seltener angesprochen werden und vieles unter der Oberfläche brodelt. Durch gezielte Fragen schafft Anja es, Menschen in Verbindung mit ihren eigenen Bedürfnissen zu bringen. Viele Menschen müssen erst wieder lernen sich zu fragen: „Wie geht es mir eigentlich wirklich?“
Wer GfK gerne im Team nutzen möchte, der sollte den Chef oder die Chefin bitten, dabei zu unterstützen und die zeitlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Doch es geht auch ohne Team: Sogar ganz alleine könnt ihr euch mit dem Konzept auseinandersetzen. Wer sich mit GfK auseinandersetzt, lernt seine Bedürfnisse besser zu kommunizieren und die Haltung zum Umgang mit Konflikten anzupassen. Auch Einzelne können soviel Strahlkraft haben, dass sich oft kurze Zeit später das ganze Team für GfK erwärmen lässt.
3 Schritte, um ab morgen mit Gewaltfreier Kommunikation zu arbeiten
Anja und Lena teilen ihre Top-Tipps, wie ihr morgen mit Gewaltfreier Kommunikation im Team starten könnt:
- Hinterfragt euch selbst
Stellt euch selbst eine Reihe von Fragen, wenn es zu einem Konflikt kommt. Zum
Beispiel: Wieso verhalte ich mich gerade genau so? Wieso fühle ich mich so? Was
brauche ich, um das Problem für mich zu lösen?
Ihr könnt lernen, über eigene Verhaltensmuster nachzudenken und gleichzeitig andere
nicht so schnell zu verurteilen. Denn eines sollte euch immer bewusst sein: Wir
alle haben das gleiche Ziel, wir wollen unsere Bedürfnisse erfüllen.
- Fragt euer Gegenüber
Wenn ihr euch selbst die Fragen beantwortet habt, ist der nächste Schritt, die andere am Konflikt beteiligte Person zu verstehen. Fragt danach, was sie jetzt braucht, damit sich der Konflikt für sie löst und es ihr besser geht.
- Setzt euch Anker
Wann immer ihr merkt, dass euch eine Situation, eine Aussage oder eine Person euch triggert, macht etwas, um euch dies bewusst zu machen. Manchmal reicht es, dreimal tief durchzuatmen, oder ihr trinkt ein Glas Wasser, oder geht an die frische Luft.
Über die Referentinnen der Virtuellen
Kaffeepause
Lena
Marbacher ist Mitgründerin von “Neue Narrative”, einem Magazin und
Medienunternehmen für Neue Arbeit und Wirtschaft, das sich für
verantwortungsvolles Unternehmer*innentum und Gleichberechtigung stark macht.
Als promovierte Designerin hat Lena den Weg in die ganzheitliche, systemische
Organisationsentwicklung genommen und zehn Jahre Unternehmen in ihrer
Transformation hin zu mehr Selbstorganisation begleitet. Sie setzt sich für
eine egofreie Wirtschaft auf Augenhöhe ein.
Anja Thiem baute das Ehrenamt-Netzwerks des Vereins Über den Tellerrand e.V. auf, das heute über 600 freiwillige UnterstützerInnen deutschlandweit umfasst. In regelmäßigen Abständen bietet sie Workshops über Gewaltfreie Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung an, die allen Mitwirkenden die Möglichkeit gibt die eigene Haltung zu reflektieren und zum Ausdruck zu bringen. Anja arbeitet als systemische Organisationsentwicklerin und entwirft Transformationsdesigns für Menschen, Teams und unternehmerische Strukturen.
Autorin: Merle Becker