Und schon wieder ein neues Modewort! Plötzlich sprechen alle von der “Fehlerkultur”. Doch was bedeutet sie eigentlich und wie erreicht man sie – im Hauptamt wie im Ehrenamt?
Ein
Ort, an dem das Fehlermachen als bewusster Teil aller Arbeitsschritte gesehen
wird, ist wohl einer mit guter Fehlerkultur. An diesem Ort pflegt das Team
einen offenen und ehrlichen Umgang darüber, dass Dinge schiefgehen können. Hier
werden Fehler direkt zu Beginn von Prozessen bewusst provoziert – und dann wird
gemeinsam daraus gelernt. An diesem Ort fühlen die Mitarbeiter*innen eine
psychologische Sicherheit.
All
das macht eine gute Fehlerkultur aus, erzählen Dr. Lena Marbacher von der Neuen
Narrative und Katarina Peranić von
der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt in unserer Virtuellen Kaffeepause. Doch wie
erreicht man diese Sicherheit?
Ängste minimieren und Verantwortung übernehmen
Sicherheit
entsteht, wenn wir agieren können ohne Strafe zu befürchten. Im Arbeitsumfeld
könnte Strafe eine Kündigung oder Abmahnung sein. Erst wer keine Strafe
fürchten muss, kann mutig sein und sich trauen, wirklich Verantwortung zu
übernehmen. Jahrhundertelang arbeiteten Unternehmen mit der Steuerung durch
Angst und Strafe. Langsam kommt es hier zum Wandel. Deshalb ist es so wichtig,
den Mitarbeiter*innen die Zeit zu geben, Vertrauen aufzubauen und sich sicher
zu fühlen.
Bei befristeten Verträgen im sozialen Bereich ist die Zeit jedoch häufig knapp.
Katarina Peranić sagt: „Um im dritten Sektor zu arbeiten, braucht man manchmal
eine kleine Portion Verrücktheit.“ Sie hat selbst als Vorständin einer Stiftung
lange Zeit nur Jahresverträge gehabt und trotzdem immer fest daran geglaubt,
dass es weitergeht. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen hat sie ihrer Arbeit und
der Wirkung vertraut: Sie haben ein gemeinsames Ziel verfolgt und eine Kultur
etabliert, in der sich jede*r entfalten kann. Mut zum Fehlermachen und die
Übernahme von Verantwortung gehören somit trotz befristeter Verträge zum
Arbeitsalltag dazu.
Werte leben und Menschen mitnehmen
Doch
wie findet man die richtigen Menschen für so eine Teamkultur? Lena und Katarina
sind sich einig, dass man Werte niemandem aufoktroyieren kann. Viel
wirkungsvoller ist es stattdessen, eine gute Fehlerkultur vorzuleben: Wenn
Vorgesetzte ihre Fehler eingestehen und reflektieren können, dann fällt es den
anderen Teammitgliedern leichter, es ihnen gleich zu tun. Darüber hinaus helfen
Rituale (etwa Methoden aus der agilen Arbeit) Prozesse regelmäßig zu
reflektieren.
Jeder Mensch braucht jedoch unterschiedlich viel Zeit, um sich an
ein wertschätzendes, transparentes Arbeitsumfeld mit gelebter Fehlerkultur zu
gewöhnen. Auch Team-Workshops und Schulungen zum Thema Gewaltfreie Kommunikation können hilfreich sein. Hierbei können Menschen
lernen, zu kommunizieren, was sie gerade brauchen. Das senkt die Hürde, auch
über Probleme und Fehler zu sprechen. Das hat wiederrum zur Folge, dass über
Herausforderungen frühzeitig gesprochen wird, und nicht erst dann, wenn die
Auswirkungen schon schwerwiegend sind. Zu diesem Zeitpunkt können Fehler meist
noch verhindert werden.
Arbeit sollte dabei immer als Produkt eines Teams
aufgefasst werden: Wenn etwas schiefgeht, dann liegt das nicht an einer
einzelnen Person, sondern dann gilt es zu reflektieren, an welcher Stelle die
Teamarbeit nicht funktioniert hat. Lena sagt: “Wenn Feedbackschleifen und Reflexionen
in jedem Arbeitsprozess dazu gehören, dann werden Fehler nicht mehr als Ausrutscher
angesehen – sie gehören einfach dazu.”
Zeit nehmen und vorsorgen
Wer sich dafür entscheidet, das Team nach Werten und Wirkung auszurichten und eine gute Team- und Fehlerkultur einzuführen, der muss dafür auch die Rahmenbedingungen schaffen. Was jetzt erstmal nach einem weiteren Zeitfresser klingt, kann langfristig Ressourcen schonen. Studien zeigen, dass eine gute Organisationskultur für weniger Krankentage sorgt, Mitarbeiter*innenfluktuation verhindert, Stress am Arbeitsplatz reduziert und vor allem auch große Fehler verhindert.
Der Zeitaufwand besteht lediglich zu Beginn, wenn neue Routinen eingeführt werden. Lena betont: „Das alles ist ja aber Teil der Arbeit. Wir müssen verstehen, dass die Kommunikation miteinander ein wichtiger Aspekt der alltäglichen Arbeit ist und die Ergebnisse verbessert.“
Gleiches gilt für das Ehrenamt, in dem es ohne gelungene Fehlerkultur gar nicht so viel tolles Engagement und Ehrenämter gäbe, betont Katarina. Hier arbeiten Menschen ohne wirtschaftlichen Druck, sondern mit dem Ziel nach gesellschaftlicher Wirkung miteinander – ein perfekter Ort für eine gelebte Fehlerkultur.
Mit den richtigen Methoden Transparenz schaffen
Zum Glück gibt es schon viele Ideen und Methoden, um die Organisationskultur zu verbessern. Dabei geht es immer darum, Transparenz zu schaffen. In der virtuellen Kaffeepause haben wir ein paar davon gesammelt:
- Das Daily: Jeden Morgen trifft sich das Team für 15 Minuten. Alle Anwesenden beantworten drei Fragen: Was habe ich seit dem letzten Treffen erledigt? Was werde ich bis zum nächsten Treffen tun? Welche Hindernisse oder Risiken gibt es? Wo benötige ich Unterstützung? Nach dem kurzen Meeting wissen alle, woran die anderen gerade arbeiten, wo es Schwierigkeiten gibt und inwiefern man sich ggf. untereinander helfen kann.
- Die Aufgabenübersicht: Anhand eines Trelloboards können alle Teammitglieder jederzeit sehen, welche Aufgaben gerade erledigt werden, welche noch offen sind und wo es Herausforderungen gibt.
- Feedbackrunden: Nach jedem Projektabschnitt sollte es Feedbackrunden geben. In diesen wird nochmal genau geguckt, was gut geklappt hat und was beim nächsten Mal verbessert werden sollte. Jede*r gibt sich dabei gegenseitig Feedback.
- Retrospektiven: Retrospektiven sind Teamtreffen, in denen aus der Vergangenheit gelernt wird. Das Team blickt auf ein abgeschlossenes Projekt oder einen Projektabschnitt und bewertet gemeinsam, was gut und was nicht so optimal gelaufen ist. Zusammen wird daraus abgeleitet, wie beim nächsten Mal besser zusammengearbeitet werden kann. Hier findet ihr einigen Ideen für Retrospektiven.
- Fehlerbuch: Statt Erfolge, können Teams auch Fehler sammeln. Dies geht zum Beispiel in einem großen, goldenen Buch im Büro oder auch digital auf einem Padlet. Alle Fehler werden notiert und auch gleich mit einem Learning versehen – damit Fehler garantiert nur einmal passieren.
- Over the Painbow: Feedback kann sowohl auf persönlicher als auch auf Projektebene oder auf struktureller Ebene gegeben werden. Hier ist es wichtig, zu unterscheiden und zu clustern. Mit der „Over the Painbow“-Methode können Teams erstmal Themen sammeln, um dann gemeinsam zu entscheiden, zu welcher Art Feedback sie gehören. Dann sollten extra Meetings für alle Bereiche angesetzt und Handlungsempfehlungen abgleitet werden.
- Salutogene Geschäftsprozessanalyse: Die Motivation und die Gesundheit der Teammitglieder werden in dieser Methode besonders berücksichtigt. Zudem sucht das Team gemeinsam nach Lösungen.
- Teambildende Maßnahmen: Regelmäßige teambildende Maßnahmen können für eine gute Grundstimmung im Team sorgen. Das Marshmallow-Problem ist zum Beispiel eine schöne Kreativaufgabe.
Bei
all den Methoden ist es wichtig, dass die Leitungsebene als Vorbild vorangeht
und eigene Fehler selbst reflektiert. Zudem muss die psychologische Sicherheit
bestehen, um etwa Retrospektiven erfolgreich und ehrlich durchführen zu können.
Hier kann es hilfreich sein, erstmal nur mit einem klassischen Debriefing auf
operationeller Ebene zu beginnen und erst später Gespräche auf persönlicher
Ebene zu führen.
Und:
Nicht alle Methoden passen auf alle Teams und nichts ist in Stein gemeißelt. Je
nach Organisation sollten die Methoden angepasst und sorgfältig ausgewählt
werden. Am Ende muss es sich für alle Teammitglieder gut anfühlen.
Autorin: Merle Becker