Wie geeignete Arbeitskräfte finden? Und wie dauerhaft halten? Fragen, mit denen wir uns weiterhin und zunehmend auseinandersetzen müssen. 8 Tipps gegen den Fachkräftemangel – von Tandem-Jobs bis “Employer Branding”.
Ob Pflege, Handwerk, Erziehung oder technische Berufe: Derzeit fehlen deutschlandweit fast 540.000 Fachkräfte. Auch der Dritte Sektor hat damit zu kämpfen: Konkurrenz mit der (oft besser bezahlenden) Wirtschaft ist nur ein Grund dafür, ein anderer sind beispielsweise sehr spezifische Anforderungsprofile.
Noch größer ist die Herausforderung für Vereine und Organisationen auf dem Land. Gerade dort mangelt es zunehmend an Nachwuchskräften, wie Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln aufzeigen. Sie prognostizieren, dass sich der Wettbewerb um Fachkräfte gerade in strukturschwachen Gebieten in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen wird.
Wie geeignete, entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte finden? Und wie dauerhaft halten? Das sind Fragen, mit denen wir uns wohl weiterhin und zunehmend auseinandersetzen müssen. Wir haben Tipps aus der Praxis gesammelt, die jenseits der gängigen Personalbeschaffungsmethoden helfen können.
1. Nutzt den demografischen Wandel
Seit Jahren altern ländliche Regionen verstärkt – und schrumpfen. Allerdings ist seit Corona offenbar auch ein Gegentrend zu spüren: Laut einer aktuellen Studie bekommen die Deutschen wieder Lust, aufs Land zu ziehen. Vor allem sind es junge Familien mit Eltern der Altersgruppe 30 bis 49, die sich in ländlichen Regionen niederlassen.
Beide Tendenzen könnt ihr für euch nutzen: Frauen in der Familienphase und ältere Menschen wollen oft arbeiten, fühlen sich am Arbeitsmarkt aber häufig fehl am Platz oder finden keinen Anschluss. Je offener ihr diesen Zielgruppen gegenüber seid, je mehr ihr auf ihre Bedürfnisse eingeht, desto höher die Chance, eine geeignete Arbeitskraft zu finden.
Schon heute ist der Frauenanteil in Non-Profit-Organisationen höher als in gewinnorientierten Unternehmen. Allerdings sind Vorstände und Führungspositionen von Vereinen mehrheitlich männlich dominiert. Als Faustregel kann gelten: Je größer, finanzstärker und älter eine Organisation ist, desto weniger Frauen befinden sich in Spitzenpositionen. Kurz: Es gibt noch jede Menge zu tun.
Ihr könnt zum Beispiel…
- eure Organisation bewusst familienfreundlich gestalten durch flexible Arbeitszeiten und Teilzeitstellen,
- Tandem-Jobs anbieten, bei denen sich zwei Teilzeitbeschäftigte eine Vollzeitstelle teilen,
- Home-Office-Arbeit ermöglichen und so den Pool möglicher Mitarbeiter*innen erhöhen,
- Kinderbetreuungsmöglichkeiten anbieten,
- Frauen als zukünftige Führungskräfte frühzeitig fördern.
Eine weitere Möglichkeit wäre, Ältere zu motivieren, länger für euch zu arbeiten. Einerseits könnt ihr so bereits bewährte Fachkräfte länger halten – zum Beispiel, indem ihr ihre Arbeitszeiten verkürzt, mehr Home-Office-Optionen anbietet oder in anderer Form auf ihre geänderten Lebensverhältnisse sowie Bedürfnisse eingeht. Andererseits suchen ältere Menschen nach ihrer Pensionierung oft eine neue Aufgabe. Auch hier lassen sich entsprechende Angebote schaffen.
2. Seid weltoffen
Wie wäre es, wenn ihr Fachkräfte außerhalb von Deutschland für eure Organisation rekrutiert? Darüber, wie das gehen kann, haben wir uns kürzlich mit dem diakonischen Unternehmen Die Zieglerschen unterhalten. Unterstützung gibt es beispielsweise von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit: Sie sucht in Zusammenarbeit mit den örtlichen Agenturen für Arbeit weltweit nach Fachkräften.
Außerdem unterstützt die Behörde bei der Zulassung ausländischer Arbeitnehmer*innen zum deutschen Arbeitsmarkt. Auf europäischer Ebene bietet das Portal EURES (EURopean Employment Services) insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen einen personalisierten Dienst, mit dem die verfügbaren Arbeitnehmer*innen EU-weit erreicht werden können.
3. Schöpft aus dem Pool der Freiwilligen
Anders als Wirtschaftsunternehmen leben viele Non-Profit-Organisation von ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Wenn sich insbesondere junge Menschen bereits für eure Sache engagieren, ist das ein Vorteil für euch: Integriert die Freiwilligen in die Organisation, bietet Aus- und Weiterbildungen für die Ehrenamtlichen an. So können daraus Fachkräfte werden, die lange in eurer Organisation bleiben.
4. Verbündet euch
Um Fachkräfte erfolgreich in ländliche Räume – und damit in eure Non-Profit – zu bringen und dort zu halten, ist vor allem Kooperation zwischen Organisationen, Unternehmen und den Regionen oder Gemeinden selbst gefragt. Setzt euch mit den Gemeinden in Verbindung, beteiligt euch aktiv an der Gestaltung und Umsetzung regionaler Entwicklungskonzepte.
Bringt proaktiv eure Ideen ein – nur so könnt ihr gemeinsam dazu beitragen, Fachkräfte für die Region zu sichern. Davon profitieren sowohl die Gemeinde wie auch eure Organisation.
5. Fangt früh an
Auch die Zusammenarbeit mit Schulen ist sinnvoll. Denn je früher ihr eure Organisation bekannt macht, desto eher kommt diese später als potenzielle Arbeitgeberin in Frage. Vernetzt euch mit Schulen vor Ort, entwickelt Projekte, veranstaltet Wettbewerbe, führt Aktionstage durch oder ladet zum Kennenlernen in eure Organisation ein. So kann zum Beispiel ein Verein, der sich in Richtung Umweltverschmutzung engagiert, gemeinsam mit Sportlehrkräften einer Schule ein sogenanntes “Plogging”-Event organisieren, bei dem die Teilnehmenden joggend Abfälle aufsammeln.
Es ist nie zu früh für die Mitarbeiter*innen-Gewinnung: Eine Naturschutz-Organisation kann beispielsweise einen Mal- und Bastelwettbewerb zu vom Aussterben bedrohten Tierarten im lokalen Kindergarten veranstalten.
6. Macht euch einen Namen
“Employer Branding” ist als Teil des Personalmarketings ein wichtiger Baustein und soll die Arbeitgeberattraktivität steigern. Darunter versteht man alle Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreifen kann, um die eigene Marke zu stärken und sich gegenüber potenziellen Bewerber*innen als passende*r und attraktive*r Arbeitgeber*in darzustellen.
Laut Annika Behrend von der Non-Profit-Jobplattform Talents4Good ist ein “weiteres Problem (…), dass der Dritte Sektor so unbekannt ist. Viele qualifizierte Arbeitskräfte sind sich gar nicht bewusst, dass sie ihre Fähigkeiten und Kompetenzen auch bei NGOs, gemeinnützigen Organisationen oder Stiftungen einbringen können.”
Das ist insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen das “Jeder-kennt-jeden”-Gesetz verstärkt zutrifft wichtig: Macht euch einen Namen, seid präsent. Und damit sind nicht nur Jobplattformen oder klassische Karriereseiten gemeint, sondern auch Aktivitäten, die zu euch passen. Ein zentraler Baustein sind auch bereits bei euch tätige Mitarbeitende: Wenn sie sich mit eurer Organisation identifizieren, empfehlen sie euch auch eher weiter.
7. Besinnt euch auf eure Stärken
Klar, mit der Bezahlung können nur die wenigsten Non-Profits auf dem Stellenmarkt punkten. Wenn ihr aber Mitarbeitende gefunden habt, sind sie oft besonders loyal. Menschen mit einem Job, den sie wichtig finden und der sie erfüllt, bleiben statistisch betrachtet 7,4 Monate länger in einem Betrieb als Mitarbeiter*innen, die ihre Arbeit als eher überflüssig erachten. Bei zufriedenen Angestellten besteht ein um 69 Prozent geringeres Risiko, in den nächsten sechs Monaten den Job zu wechseln.
Das bestätigt eine aktuelle Umfrage des IW Köln: Unter den Beschäftigten, die einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen, denken rund 21 Prozent nie über einen Arbeitgeberwechsel nach, nur rund sechs Prozent tun es jeden Tag. Im Vergleich dazu denkt unter denjenigen, die keinen Sinn in ihrer Tätigkeit finden, mehr als jede*r Vierte täglich daran, den Job an den Nagel zu hängen.
Deshalb: Besinnt euch auf den Sinn und Zweck eurer Organisation, stellt diesen immer wieder in den Vordergrund und zeigt euren Mitarbeitenden, dass ihre Arbeit einen wichtigen Beitrag leistet. Vielleicht stellt ihr neuen Arbeitskräften ein*e Mentor*in zur Seite, oder ihr organisiert einmal im Monat ein Frühstück mit der Geschäftsführung und dem Management, bei dem alle Fragen stellen und Ideen einbringen können.
8. Seid authentisch
Gerade im eng vernetzten ländlichen Gebiet ist es wichtig, authentisch und ehrlich aufzutreten. Wie das auch dann gelingt, wenn der Arbeitsalltag einer Non-Profit durchaus herausfordernd und gefährlich sein kann, zeigt ein Beispiel von Ärzte ohne Grenzen:
“Flucht nach vorn”, lautete die Strategie dieser Organisation: “Reitet ein Kinderarzt auf einem Esel zum Impfen. Kein Witz. Wir suchen Mediziner (m/w), die unter schwierigsten Bedingungen Nothilfe leisten”, heißt es in ihren Stellenanzeigen. Damit stellte sie als Arbeitgeberin klar, dass die Bedingungen, unter denen vor Ort in Krisenregionen gearbeitet wird, hart sind.
Ehrlichkeit macht sich bezahlt: Laut einer Studie der Online-Jobplattform StepStone ist eine zu hohe Diskrepanz zwischen der Stellenbeschreibung und der erlebten Arbeitsrealität einer der häufigsten Gründe, warum Kandidat*innen im Bewerbungsprozess abspringen.
Fazit: Der Konkurrenzkampf um Fachkräfte ist eine Herausforderung – nicht nur für ländliche Organisationen. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch: Je kreativer, offener und ehrlicher ihr euch dieser Thematik als Organisation stellt, desto besser wird es euch gelingen, geeignete Arbeitskräfte zu finden und längerfristig zu halten.