Kennzahlen, KPIs und IST-SOLL-Werte sind wichtig, um Budgets planen oder den Grad der Zielerreichung ermitteln zu können. Und dennoch lösen Zahlen bei vielen Engagierten einen Fluchtreflex aus. Daten auswerten? Nein, danke. Der Ökonom und Trainer Michael Wörle gibt Tipps, wie man sich seiner Abneigung gegen Kennzahlen konstruktiv nähern kann.
Falls Menschen eine Abneigung gegen Zahlen haben, muss
das nicht unbedingt rationale Gründe haben. Denn Zahlen sind an sich sehr
praktisch und bieten viele Vorteile. Kann man also den Fluchtreflex überwinden?
Vielleicht sogar Zahlen lieben (lernen)?
Dieser Beitrag soll Lust auf Zahlen machen. Denn ohne sie geht Vieles nicht –
oder zumindest nicht so gut.
Und weil Zahlen so wichtig sind, folgte der Erfindung der
Buchhaltung die Entwicklung des Controllings. Controlling ist – um das vorwegzunehmen – weniger Kontrolle denn Steuerung. “To control” bedeutet steuern, nicht
kontrollieren. Und um steuern zu können, braucht es Ziele, die messbar sind. Und
hier kommen dann auch Zahlen ins Spiel.
Wieso Zahlen hilfreich und wichtig sind
Ich habe in meinem Beruf ständig mit Menschen und
Zahlen zu tun. Daher kenne ich Vorbehalte gegen Kennzahlen und KPIs aus meiner täglichen
Arbeit nur zu gut.
Zwar treffe ich überall auf Menschen, die mit Zahlen
fremdeln, meinem Eindruck nach ist aber die Zahlenabneigung in gemeinnützigen
Organisationen ausgeprägter als andernorts. Mutmaßlich deshalb, weil im
sozialen Bereich Menschen unterwegs sind, die anderen helfen wollen, die sozial
oder künstlerisch veranlagt sind, die sich nebenbei und ehrenamtlich engagieren
und die aus all diesen Gründen mit Zahlen-Kram lieber nichts zu tun haben möchten.
Sie sehen in Zahlen oder gar Zahlenvorgaben oft mehr einen Feind als einen
Freund.
Wenn ich solche Vorbehalte spüre, dann bediene ich
mich verschiedener Argumente:
- Zahlen sind nur eine weitere Möglichkeit, Geschichten zu erzählen. Wenn ihr beispielsweise die Einnahmen eurer Organisation um eine Summe X steigert, geht es eben nicht nur um die Summe X, sondern hinter der Summe X stehen viele
begeisterte Kund*innen oder Mitglieder. Dasselbe gilt für die Senkung eurer Ausgaben: Womöglich habt Ihr einen ehedem aufwendigen Prozess infolge von Lernprozessen erheblich verschlankt,
ein Angebot über die Jahre mühsam standardisiert oder eine gänzlich
neue Maßnahme entwickelt, mit der die Arbeit leichter und günstiger möglich
ist. Auch hier sind etwaige Zahlen nur “verdichtete Geschichte”. Im weniger positiven Fall musstet ihr schmerzhafte Einschnitte vornehmen,
weil eine Förderin absprang und nun bestimmte Angebote nicht mehr finanzierbar
sind.
Was auch immer die Geschichte hinter den Zahlen ist, sie gehört dazu. Zahlen sind lediglich Teil einer Geschichte, sie ersetzen sie nicht. - Zahlen sind trivial. Statt vieler Worten und langem Reden genügt mitunter eine einfache
Ziffer.
Beispiel: 1 Prozent der Menschen besitzt mehr Geld als die restlichen 99 Prozent (Quelle). Oder: 20% der täglichen Arbeit entscheiden über 80% des Outputs.
Ebenso, wie Zahlen helfen, Geschichten zu erzählen, genauso helfen sie auch, lange Geschichten zu verkürzen.
Dass manche Menschen quasi alles auf Zahlen verkürzen und den dazugehörigen Kontext auslassen, ist ärgerlich. So entstehen oft Widerstände gegen Zahlen. Das ändert aber nichts daran, dass Zahlen sehr gut geeignet sind, Komplexität auf den Punkt zu bringen. - Zahlen lassen sich leicht merken. Zahlen erzielen häufig eine große Wirkung, gerade weil sie die Geschichten so gut bündeln. Das zeigt wiederum dieses Beispiel: Das reichste 1 Prozent verfügt über mehr Geld als die restlichen 99 Prozent. Diese miteinander verknüpften Zahlen lassen sich leichter merken als die Befunde der dazugehörigen und vielleicht langatmigen soziologischen Abhandlungen. (Natürlich: Man muss aufpassen, weil Verkürzung immer auch einher geht mit der Gefahr, zu plakativ zu werden.)
- Zahlen machen Berichte erst spannend und interessant. Eure Geldgeber*innen und die Öffentlichkeit wollen wissen, was ihr mit Spenden und Zuschüssen macht. Hierfür eignen sich neben Analysen und Stories auch Zahlen, vor allem in Form anschaulicher Grafiken, informativer Statistiken und lesbarer Tortendiagramme.
Die Betonung liegt auf anschaulich, denn bei solchen Zahlen kommt es vor allem darauf an, dass diese gut aufbereitet sind. - Zahlen sind ein wunderbares
Hilfsmittel, um knappe Gelder besser einsetzen zu können. In der Umsetzung eurer Mission als Non-Profit-Organisation unterstützen
euch Zahlen, das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren und Prozesse zu
optimieren.
Wer IST- und SOLL-Werte kennt, kann Ressourcen besser einsetzen, gezielter verschieben oder auf unerwartete Ereignisse reagieren. Das steigert auch die Qualität der Arbeitsergebnisse insgesamt.
Wichtig ist natürlich, dass die Datenerhebung nicht zum Selbstzweck wird und nur Daten erhoben werden, weil irgendwer das mal so beschlossen hat, oder aber, dass Zahlen unausgewertet irgendwo verschwinden. Stattdessen sollten Zahlen dazu genutzt werden, um aus ihnen zu lernen, evtl. gegenzusteuern und wirkungsvoller zu werden.
Tipps wie Ihr an “eure” Kennziffern kommt
Nichts ist nerviger als ein Zahlendschungel mit viel zu vielen Zahlen, Rundungsfehlern und Formelungenauigkeiten. Für unsere Zwecke helfen daher zwei Regeln: Kennziffern müssen einfach sein. Und es braucht nur wenige Kennziffern, aber eben die richtigen.
Und so könnte der Lösungsweg aussehen:
- Mithilfe der Wirkungstreppe könnt ihr neben Zielen auch Indikatoren und Kennzahlen festlegen.
Beispiel: Auf den Stufen 2 bis 3 der Wirkungstreppe definiert ihr als Ziel, dass euer Angebot die Zielgruppe erreicht und auch von der Zielgruppe akzeptiert wird. Ein Indikator hierfür könnte sein, dass Ihr z.B. mit Werbemaßnahmen nominell 500 Personen der Zielgruppe erreicht und von den erreichten Personen 50 konkret am Angebot teilnehmen. Auf Stufe 4 definiert ihr, dass z.B. 75 Prozent der Teilnehmer*innen durch euer Angebot neues Wissen erlangen (was ihr durch Vorher-Nachher-Fragebögen oder durch kurze Interviews verifizieren könnt). Auf Stufe 5 könntet ihr festlegen, dass Ihr euer Ziel erreicht, wenn 30% der Teilnehmer*innen infolge eures Angebots ihr Verhalten positiv ändern (was ihr z.B. durch eine Nachbefragung herausfindet). Ergänzt um qualitative Aussagen helfen solche Zahlen, um den Grad der Zielerreichung zu ermitteln.
Hier haben wir unaufwändige Methoden der Kennzahlen- und Datenerhebung aufgeschrieben. - Entscheidet euch am besten für ein möglichst kleines Kennziffernset, das euch den Hebel in
die Hand gebt, um Wirkung zu erzielen.
Beispiel: Ihr habt verschiedene Angebote für verschiedene Zielgruppen und euch fehlen die Ressourcen, für jedes Angebot ein komplettes KPI-Set zu entwickeln, das ihr dann auch entsprechend nachhaltet. In diesem Fall könnte es eine Überlegung wert sein, KPIs zu finden, die angebotsübergreifend funktionieren:
– Wie zufrieden sind die Zielgruppen mit euren Angeboten?
– Bestätigen sie, dass sie infolge eurer Angebote neues Wissen oder neue Fertigkeiten erlangt haben?
– Hat sich der soziale Status der Zielgruppen verbessert?
Wenn Ihr diese Aspekte in jedem Projekt erfragt, ermittelt ihr mit vergleichsweise wenig Aufwand einen “Zufriedenheitswert” sowohl für einzelne Angebote als auch für euer Gesamtangebot. - Übersetzt große Ziele in handliche Kennziffern.
Beispiel: Ihr wollt ein anspruchsvolles, aber teures Projekt realisieren, das ihr aus den Mitgliedsbeiträgen allein nicht finanzieren könnt. Dann überlegt, ob ihr das Ziel in weitere Einzelziele zerlegen könnt.
Beispiel: 100.000 Euro Projektvolumen wären 10 Einzelspenden in Höhe von 10.000 Euro oder 1.000 Spenden à 10 Euro. Das nimmt großen Zahlen ein bisschen den Schrecken.
Zahlen sind wie ein Kompass
Wenn ihr Auto fahrt, ein Ziel habt und mit Google
Maps die Route auswählt, dann zeigt euch das Navi an, wie viele Kilometer ihr in welcher Zeit schaffen könnt. Übertragen auf Eure Vereinsziele kann es sein, dass ihr festlegt, wie viele Mitglieder ihr anwerben wollt. Und bezogen
auf die Finanzplanung heißt das, dass ihr wisst, mit wieviel Beitragseinnahmen ihr rechnen und welche Ausgaben ihr euch leisten könnt. Hierzu mehr in den Beispielen oben.
Zahlen & KPIs sind weniger aversiv, wenn ihr sie als etwas Hilfreiches anseht, als Mittel zum Zweck, mit dem ihr leichter, einfacher und schneller die Richtung definieren und das Ausmaß der Zielerreichung feststellen könnt.
Autor: Michael Wörle