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In den letzten Jahren wurde der Einsatz freiberuflicher Lehrkräfte auch für Non-Profits leicht zur Scheinselbstständigkeitsfalle. Das war eine Folge des sogenannten „Herrenberg-Urteils“. Nun hat die Politik reagiert. Zumindest bis Ende 2026 können freie Dozent*innen rechtssicher eingesetzt werden – auch rückwirkend.

Stand: 03. März 2025

Rechtssicherheit beim Einsatz von Honorarkräften als Dozent*innen

  • Das „Herrenberg-Urteil“ bestätigte, dass eine freiberufliche Klavierlehrerin, die einen typischen Honorarvertrag mit einer Musikschule hatte, scheinselbstständig war.
  • Die Gerichtsentscheidung stellte den selbstständigen Status vieler freiberuflicher Dozent*innen in Frage. Das war für viele Musikschulen oder Volkshochschulen ein regelrechtes Damoklesschwert. Ihnen drohte die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für ihre freien Lehrkräfte.
  • Diese Statusfrage betraf auch Non-Profits, die etwa Kurse zum Sprachenlernen, zum kreativen Schreiben oder zur Vorbereitung auf Bildungsabschlüsse anbieten.
  • Nun gibt es jedoch eine befristete Lösung. Rückwirkend und noch bis Ende 2026 gelten freie Dozent*innen als selbstständig, selbst wenn sie gemäß Herrenberg-Urteil sozialversicherungspflichtig beschäftigt wären.
  • Dazu wurde das Sozialgesetzbuch geändert. Die Übergangsregelung greift jedoch nur, wenn die Betroffenen einverstanden sind.
  • Ab 2027 gelten dann die vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze. In Zukunft müssen Bildungsträger also ihre Dozent*innen anstellen oder Unterricht auf Honorar-Basis so organisieren, dass Scheinselbstständigkeit eindeutig ausgeschlossen ist.

Das Herrenberg-Urteil: Honorar-Unterricht als Scheinselbstständigkeit

Im Sommer 2022 fällte das Bundessozialgericht eine als „Herrenberg-Urteil“ bekannt gewordene Entscheidung. Es stellte die Scheinselbstständigkeit einer Klavierlehrerin fest, die an der Musikschule des württembergischen Städtchens unterrichtet hatte.

Der Klavierunterricht fand in den Räumen und auf Instrumenten der Musikschule zu festgelegten Zeiten statt. Mit Neuanmeldungen und der Gebührenzahlung hatte die Frau nichts zu tun. Damit war sie für das Bundessozialgericht „weisungsgebunden in den Musikschulbetrieb eingegliedert“ und „mangels typischer unternehmerischer Freiheiten“ scheinselbstständig (BSG, 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R). Die Musikschule musste trotz des Honorarvertrags über „freiberufliche Unterrichtsstätigkeit“ Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.

Mit der Entscheidung änderte das Bundessozialgericht seine Linie. Zuvor war es bei Lehrenden mit Honorarvertrag oft eher großzügig. Doch die Rechtsprechung in Sachen Scheinselbstständigkeit wird seit Jahren zunehmend strenger. Das hat sich auch schon in Bezug auf Pflegekräfte und Honorarärzt*innen gezeigt.

Das Problem: Laufende Honorarverträge

Das Herrenberg-Urteil löste große Unruhe aus, sowohl bei öffentlich-rechtlichen Schulen als auch bei gemeinnützigen und kommerziellen Bildungsträgern, die Honorardozent*innen einsetzen. Wenn die Träger die Teilnehmenden akquirierten, Räume und Lehrmittel stellten sowie die Organisation des Lehrbetriebs und die Abrechnung übernahmen, lag nach der Herrenberg-Entscheidung Scheinselbstständigkeit vor. Selbst wenn die Unterrichtenden im Rahmen der Unterrichtsinhalte Freiheit hatten.

Das Problem: In vielen Fällen wurden und werden von Honorarkräften durchgeführte Kurse und Lernangebote genau in dieser Form durchgeführt. Der Prüfdienst der Deutschen Rentenversicherung begann, das Herrenberg-Urteil generell als Maßstab für Unterricht auf Honorar-Basis anzuwenden. Und das Bundessozialgericht bestätigte in einer weiteren Entscheidung, dass Träger sich nicht auf Vertrauensschutz aufgrund der früheren Rechtsprechungslinie berufen konnten.

Das Urteil betraf einen Studenten, der an der Göttinger Volkshochschule Vorbereitungskurse zum Realschulabschluss gegeben hatte. Auch er war in der inhaltlichen Gestaltung weitgehend frei, in Organisation, Anmeldung und Abrechnung jedoch nicht involviert. Das Bundessozialgericht sah darin Scheinselbstständigkeit und lehnte es ausdrücklich ab, eine Art von Vertrauensschutz aufgrund früherer Urteile mit anderer Tendenz zu gewähren (BSG, 05.11.2024 – B 12 BA 3/23 R).

Die Folge: Vielerorts wurden keine freien Dozent*innen mehr unter Vertrag genommen. Gleichzeitig schwebte über Trägern, die mit freien Lehrkräften gearbeitet hatten, das Risiko nachgeforderter Sozialversicherungsbeiträge.

Die neue Rechtslage: Keine Scheinselbstständigkeit bis 2026

Diese Situation hat die Politik aufgeschreckt. Kurz vor den Neuwahlen im Februar 2025 wurde noch eine „Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten“ beschlossen und verkündet.  Dazu wird ein neu gefasster § 127 in das Sozialgesetzbuch IV eingefügt.

Die Übergangsregelung betrifft die vermeintlich freie Lehrtätigkeit durch Honorarkräfte, die sich dann bei einer Überprüfung durch die Sozialversicherungsträger als Beschäftigungsverhältnisse erweist. In diesem Fall tritt die Sozialversicherungspflicht erst zum 01. Januar 2027 ein. Bis dahin werden keine Beiträge fällig. Stattdessen werden die freien Dozent*innen aus Sicht der Sozialversicherung bis zum 31. Dezember 2026 als Selbstständige behandelt.

Die Übergangsregelung hat zwei Voraussetzungen:

  1. Beide Seiten müssen von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sein, als sie den Vertrag abgeschlossen haben. Der Vertragstext sollte also nach Möglichkeit klar ausdrücken, dass eine selbstständige Honorartätigkeit gewollt und vereinbart wurde.
  2. Die freien Dozent*innen müssen mit der befristeten Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht als Beschäftigte einverstanden sein.

Erklärung der freien Lehrkraft

Die Betroffenen sollten schriftlich bestätigen, dass sie in die Übergangsregelung einwilligen, etwa wie folgt:

„[Der/die Honorardozent*in] geht davon aus, dass der mit [Bildungsträger] am [Datum] vereinbarte Unterricht auf Honorarbasis eine selbstständige Tätigkeit darstellt. Für den Fall, dass die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung das Vertragsverhältnis trotzdem als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis einordnen, willigt [der/die Honorardozent*in] ein, dass gemäß § 127 SGB IV die Sozialversicherungspflicht aus Beschäftigung bis zum 01. Januar 2027 nicht wirksam wird.“

Anmerkungen zur Übergangsregelung für freie Dozent*innen:

  • Wenn das Honorar unter die steuerfreie Übungsleiterpauschale fällt, ist es auch sozialversicherungsfrei. Damit entfällt das Risiko der Scheinselbstständigkeit von vornherein. Natürlich müssen die Voraussetzungen für die Übungsleiterpauschale gegeben sein.
  • Wer als vermeintlich selbstständige Honorarkraft freiwilliges Mitglied der Kranken- oder Rentenversicherung ist und von der Übergangsregelung bis Ende 2026 Gebrauch macht, behält seinen Versicherungsschutz.
  • Auch die Beitragszahlungen aufgrund der Rentenversicherungspflicht freier Dozent*innen und Beiträge zur KSK werden honoriert und führen zu Rentenansprüchen.

Für selbstständige Dozent*innen gilt trotzdem Sozialversicherungspflicht: KSK oder gesetzliche Rentenversicherung

Auch wenn Honorar-Lehrkräfte nicht als Beschäftigte gelten: Sozialversicherungspflicht gilt für sie dennoch.

  • Freie Dozent*innen und Lehrer*innen einschließlich von Coaches und Trainer*innen gehören zu den rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen (§ 2 SGB VI). Die gesetzliche Rentenversicherung können sie nur vermeiden, wenn sie selbst Arbeitnehmende beschäftigen. Im Gegensatz zu Arbeitnehmenden müssen sie die Rentenversicherungsbeiträge in voller Höhe selbst bezahlen.
  • Etwas anderes gilt für selbstständige Dozent*innen, die kreative Tätigkeiten unterrichten, wie Malen oder kreatives Schreiben. Sie werden grundsätzlich über die Künstlersozialkasse Mitglied der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Diese Sonderform der Sozialversicherung für Selbstständige in künstlerischen und publizistischen Berufen schließt auch den Unterricht in diesen kreativen Tätigkeiten ein.

    Großer Vorteil: Die dort Versicherten erhalten die Hälfte der Beiträge als Zuschuss. Im Gegenzug müssen Bildungsträger, die selbstständige Dozentinnen für künstlerische oder publizistische Seminare und Kurse bezahlen, Künstlersozialabgabe auf die Honorare abführen.

Und was passiert ab 2027?

Wenn die Übergangsregelung zum 31. Dezember 2026 endet, wirken sich die Folgen des Herrenberg-Urteils voll aus. Dann sollten freie Dozent*innen auch nach den strikten Maßstäben dieser Gerichtsentscheidung selbstständig sein. Andernfalls droht Trägern beziehungsweise Auftraggebern die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Eine Möglichkeit ist es, dass Musikschulen, Volkshochschulen, Sprachschulen etc. die Lehrenden sozialversicherungspflichtig einstellen. Wer weiterhin mit freien Dozent*innen arbeiten möchte, sollte dann nachweisen können, dass diese weisungsunabhängig sind, ein eigenes unternehmerisches Risiko tragen und nicht allzu weit in die Betriebsorganisation des Trägers eingebunden werden. Dabei ist neben dem Vertragstext vor allem die Umsetzung in der Praxis entscheidend.

Eine fehlende Einbindung in den Betrieb des Trägers kann sich daran zeigen, dass die Honorarkräfte nicht an internen Meetings oder Sonderveranstaltungen des Trägers teilnehmen, den Unterricht nicht in Arbeitsteilung mit anderen Mitgliedern des Lehrteams erbringen, nach außen nicht als Teil des Teams des Trägers auftreten, sich nicht in vorgegebene Stundenpläne fügen müssen und keine Verwaltungsaufgaben des Trägers übernehmen.

Für Freiheit von Weisungen spricht es, wenn Lehrende …

  • die Unterrichtsdurchführung an andere Personen delegieren dürfen,
  • die Preise (mit-)bestimmen,
  • selbst Teilnehmende akquirieren können,
  • Unterrichtsinhalte und -ziele eigenverantwortlich gestalten.

Als Indiz für eigene unternehmerische Risiken lässt sich werten, dass sie …

  • bei schlechtem Besuch ihrer Kurse wenig oder nichts verdienen,
  • keine Ausfallhonorare erhalten,
  • nur für tatsächlich erbrachte Stunden bezahlt werden,
  • keine Ansprüche auf Urlaub und Lohnfortzahlung haben,
  • für Unterrichtsräume und -materialien bezahlen müssen,
  • ihre Kurse oder Seminare selbst aktiv bewerben.

Dass solche Einschränkungen den Einsatz freier Dozent*innen aus Sicht der Träger erschweren, liegt auf der Hand.

Außerdem ist kein einzelner Aspekt für sich ausschlaggebend. Auftraggeber*innen können sich umso sicherer vor Scheinselbstständigkeitsvorwürfen fühlen, je mehr ihre freien Dozent*innen in der Gesamtbetrachtung frei von Weisungen und Eingliederung in den Betrieb sind, so wie es das Gesetz fordert (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Die Übergangsregelung verschafft bis Ende 2026 Zeit, sich darauf einzustellen.