Was passiert, wenn Ehrenamtliche die Seite wechseln und zu Mitarbeitenden werden? Welche Vorteile hat der Wechsel und welche Herausforderungen bringt er mit sich? Alf Pille, Geschäftsführer des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz in Bayern e.V. (LBV) berichtet von seinen Erfahrungen.
Der LBV hat in Bayern rund 20 Geschäftsstellen, auf die knapp 300 hauptamtliche Mitarbeiter*innen verteilt sind. Hinzu kommen zwischen 5.000 und 6.000 ehrenamtlich Aktive – darunter sind viele, die durch ihre Tätigkeit beim LBV zu echten Naturschutz-Expert*innen geworden sind. Immer wieder kommt es vor, dass Ehrenamtliche ins Hauptamt wechseln.
Weshalb werden Ehrenamtliche beim LBV ins Hauptamt überführt?
Im LBV sind unter anderem zehn Hochschulgruppen ehrenamtlich tätig. Wenn die Mitglieder ihre Studiengänge abgeschlossen haben, sind sie ausgebildete Naturschützer*innen. Der Arbeitsmarkt für Naturschutzfachkräfte ist so gut wie leer – sie haben die freie Auswahl. Während ihrer ehrenamtlichen Arbeit kann der LBV sich schon so präsentieren, dass sie als Hauptamtliche erhalten bleiben. Großes Nachwuchspotenzial gibt es auch bei den Bundesfreiwilligen, die für den Verband tätig sind.
„Das ist natürlich ein Riesenvorteil für beide Seiten, da wir uns schon kennen.“
Was sind die Vorteile, wenn Hauptamtliche zuvor im Ehrenamt tätig waren?
Zwar unterscheidet sich die hauptamtliche Mitarbeit von der ehrenamtlichen – beispielsweise, was die Prozesse im LBV angeht. Aber ehemalige Ehrenamtliche bringen Herzblut mit und finden sich leichter und schneller ein. Ein Vorstellungsgespräch oder ein Assessment Center reichen meist nicht aus, um einen realistischen Einblick in die Mitarbeit zu erhalten.
Hinzu kommt, dass es dadurch eine gute Vernetzung zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen gibt. Das ist wichtig, da wegen der wegen der zunehmenden Professionalität im Hauptamt leicht das gegenseitige Verständnis verloren geht. Hauptamtliche, die aus dem Ehrenamt kommen, kennen dagegen die Herausforderungen für ehrenamtlich Tätige, über alle Neuerungen des Verbands informiert zu bleiben. Oft fehlt im Ehrenamt schlichtweg die Zeit, alle entsprechenden E-Mails zu lesen.
„Je mehr Brücken es zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen gibt, umso besser.“
Wie wird die Arbeit der Ehrenamtlichen beim LBV koordiniert?
Der Verband hat in den einzelnen Bezirken Ehrenamtsmanager*innen eingestellt. Ihre Aufgabe ist es, sich um die Prozesse der ehrenamtlichen Tätigkeit und das Onboarding Ehrenamtlicher zu kümmern und ihre Erfahrungen in das landesweite Ehrenamtsmanagement einzuspeisen. Das ist wichtig, da der LBV im ehrenamtlichen Bereich wachsen oder zumindest den Status quo erhalten möchte. Die erforderlichen Strukturen für Ehrenamtliche haben sich geändert: Viele engagieren sich kürzer für ein bestimmtes Thema statt langfristig für eine Organisation.
Der LBV bewegt sich deshalb auf lokaler Ebene teilweise vom klassischen Vereinsmodell mit erster/m und zweiter/m Vorsitzenden, Schriftführer*in usw. weg. Zusammen mit Ehrenamtlichen wurde ein alternatives Modell entwickelt, das gleichberechtigter und weniger hierarchisch ist.
„Dank des alternativen Modells gibt es in den lokalen Vorständen mehr Frauen und junge Menschen, was wiederum zu mehr ehrenamtlichem Engagement führt.“
Welche Positionen werden vermehrt von ehemaligen Ehrenamtlichen besetzt?
Die meisten Ehrenamtlichen sind beim LBV in den Bereichen praktischer Naturschutz und Umweltbildung aktiv. Da liegt eine hauptamtliche Mitarbeit mit inhaltlichen Aufgaben näher als beispielsweise der Wechsel ins Fundraising. Viele Projekte der genannten Bereiche sind zu groß und aufwendig, um sie ehrenamtlich zu betreiben. Es braucht eine hauptamtliche Mindestkoordination und oft auch Ausführung.
Ein Beispiel für solch ein Projekt ist der Schutz einer Vogelart wie des Uhus. Um zur Brutzeit nach dem Winter alle Horste zu kontrollieren braucht es vier bis fünf Termine zwischen Februar und Juni. Das übernehmen Ehrenamtliche. Hinzu kommen jedoch 30 bis 40 vergleichbare Projekte, für die es möglicherweise keine ehrenamtliche Betreuung gibt. Am Ende müssen zudem alle Daten der Standortkontrollen zusammengeführt und ausgewertet werden. Diese Arbeit kann man nur im Hauptamt stemmen.
Auf welche Weise werden Ehrenamtliche ins Hauptamt geholt?
Ab und zu fragen Ehrenamtliche direkt an, ob es eine freie Stelle gibt. Im Allgemeinen läuft es aber über Stellenausschreibungen, die über gängige Kanäle verbreitet werden. Dazu gehört auch die gezielte Kommunikation an die Ehrenamtlichen übers Intranet. Die Überführung Ehrenamtlicher ins Hauptamt ist kein bewusst gesteuerter Prozess, aber der LBV informiert Ehrenamtliche über offene Stellen.
Bringt der Wechsel ins Hauptamt bestimmte Herausforderungen mit sich?
Die größte Herausforderung für die Mitarbeitenden ist, sich ihre Arbeitszeit gut einzuteilen. Alle brennen für das Thema und haben das Gefühl, die Rechner dürften nie heruntergefahren werden. Es ist nicht leicht, eine Grenze zum Feierabend zu ziehen – noch weniger, wenn man seine Freizeit vorher mit ähnlichen ehrenamtlichen Tätigkeiten gefüllt hat. Plötzlich soll man damit aufhören, weil es eine hauptamtliche Arbeit ist. Und dann hat man entweder ganz viele Überstunden, oder man schreibt es nicht auf und beutet sich damit ein Stück weit selbst aus.
„Egal, welche Probleme es gibt: Wir versuchen sie im direkten Austausch auf menschlicher Ebene zu lösen.“
Über den Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV)
Der im Jahr 1909 gegründete LBV ist bayerischer Partner des bundesweiten Naturschutzverbandes NABU und konzentriert sich auf die Förderung von Artenvielfalt und Biodiversität. Der LBV unterhält ein umfangreiches Netzwerk eigener Schutzgebiete in Bayern, die sich über mehrere tausend Hektar erstrecken. Diese Schutzgebiete werden von ehrenamtlichen Helfer*innen betreut, gepflegt und erweitert.
Der LBV deckt das gesamte Spektrum eines Naturschutzverbandes ab – von Maßnahmen zur Unterstützung wandernder Kröten über die Wiedereinführung des Bartgeiers in die bayerischen Alpen bis hin zum Schutz der letzten verbliebenen Standorte des böhmischen Enzians im bayerischen Wald. Darüber hinaus betreibt der LBV einen eigenen Kindergarten, der sich der Umweltbildung und der Förderung von Bildung im Bereich nachhaltige Entwicklung widmet.